Dem MOSAiC ATMO (Atmosphären)-Team (Abbildung 1) ist es gelungen, Beobachtungen relevanter atmosphärischen Eigenschaften, Prozessen und Interaktionen für den ganzen Jahreszyklus während einer Drift mit dem Meereis durch den zentralen Arktischen Ozean vom Oktober 2019 bis September 2020 zu machen. Das breit gefächerte, internationale Forscherteam hat ein umfassendes Programm für die Beobachtung und Bestimmung sämtlicher Aspekte des arktischen Atmosphärensystems in einem einmaligen Detailreichtum konzipiert und durchgeführt. Die wesentlichen Prozessen, die untersucht wurden, sind in Abbildung 2 dargestellt. Diese betreffen sämtliche Aspekte der physikalischen und dynamischen Struktur der Atmosphäre, Wolken und Niederschlag, Gase und Aerosole sowie Energieflüsse. Viele der damit verbundenen Prozessen sind mit Prozessen im Ozean und Meereis, sowie mit weiteren Komponenten des in hohem Maße gekoppelten arktischen Klimasystems, eng verknüpft. Ralf Jaiser vom AWI Potsdam beschreibt die Bedeutung der MOSAiC-bezogenen Forschung, auch jenseits der Arktis, wie folgt: „Die Arktis ist im globalen Klimasystem eingebettet. Somit versetzt uns ein besseres Verständnis von arktischen Prozessen in die Lage, bessere Vorhersagen und Prognosen für das Klimasystem weltweit zu erstellen.“
Messdaten aus dem ganzen Jahreszyklus
Während die meisten früheren Expeditionen in die Zentralarktis bloß ein paar Wochen lang dauerten, hat die ein Jahr dauernde MOSAiC-Expedition es den Wissenschaftler*innen ermöglicht, die atmosphärische Variabilität über dem arktischen Meereis detailliert zu erforschen, und zwar über den ganzen Jahreszyklus. Abbildung 3 ist eine Zeitreihe ausgewählter atmosphärischer Parameter abgebildet, welche sowohl den saisonalen Verlauf für die einzelnen Parameter als auch die erhebliche tägliche Variabilität, die primär den kurzfristigen Auswirkungen von Zyklonen zuzuschreiben ist, zeigt.
Matthew Shupe vom CIRES (University of Colorado und NOAA), Atmosphärenforscher und Co-Koordinator für MOSAiC, fasst den Erfolg der Expedition wie folgt zusammen: „Während MOSAiC haben wir mehr als 20 Zyklone oder Sturme unterschiedlicher Größe, die über unsere Scholle fegten, beobachtet. Wir haben diese Ereignisse in einem beispiellosen Detailreichtum beschrieben und sowohl die vertikale Windstruktur als auch die Impulsübertragung zwischen Meereis und Ozean, die zur Meereisbewegung und Brüchen führt, charakterisiert. Während diesen Ereignissen haben die Auswirkungen von in die Zentralarktis eindringenden Warmluftmassen und deren begleitenden Wolken erhebliche Veränderungen in sämtlichen Komponenten der Energiebilanz an der Oberfläche verursacht, was die Temperatur und das Wachstum beziehungsweise das Schmelzen des Meereises beeinflusst hat. Darüber hinaus bieten Informationen aus dem ganzen Jahr zur Variabilität der atmosphärischen Zusammensetzung und Aerosolen neue Einblicke in den jeweiligen Einflüssen vom Ferntransport und von lokalen Prozessen, mit wichtigen Implikationen für klimarelevante Zyklen (z. B. den Kohlenstoffzyklus), Wolken und die Strahlungsbilanz.“
Von der Oberfläche bis zur Stratosphäre
Die Wissenschaftler*innen haben die ganze atmosphärische Säule über der MOSAiC-Scholle erforscht, d. h., im gesamten Bereich von nur ein paar Millimeter über dem Schnee, bis zur Troposphäre in ein paar Kilometer Höhe, wo sich Wetterereignisse und Sturmsysteme bilden, bis hin zur mittleren Stratosphäre (ca. 30 km Höhe), wo sich der Polarwirbel im Winter befindet. Abbildung 3 zeigt repräsentative Daten, die über drei Tage im Juli 2020 gesammelt wurden. Hier werden die komplexen, kombinierten Auswirkungen, die dynamische, thermodynamische und wolkenbezogene Prozesse in der Troposphäre auf die Temperatur, Strahlungsbilanz und turbulente Energieflüsse an der Oberfläche haben können, ersichtlich. Diese Prozesse über dem arktischen Meereis und deren Interaktionen sind immer noch nur schlecht beobachtet und verstanden. MOSAiCs umfassendes atmosphärisches Messprogramm wird unser Prozessverständnis diesbezüglich verbessern.
Komplementäre Messmethoden für ein komplexes System
Ein zentraler Aspekt des atmosphärischen Messprogrammes, aber auch der Expedition insgesamt, ist die Komplementarität und die holistische Natur der Messungen, die Analysen der Prozessen aus zahlreichen Perspektiven ermöglichen werden. Zum Beispiel zeigt Abbildung 4 vertikale Profile für verschiedene atmosphärische Parameter, die von verschiedenen Instrumenten im Juli 2020 erfasst wurden. Im Laufe des Tages wurden Temperaturprofile von vier komplementären Messsystemen erstellt. Zusammengenommen zeigen sie die Entstehung eines Absinken der Grenzschichthöhe in der atmosphärischen Grenzschicht, wie es am oberen Rand der Wolkenschicht ersichtlich ist. Weitere Instrumente lieferten zusätzliche Informationen zur Luftfeuchtigkeit, Wolken und Wärmestrahlung, Wind und dynamischen Vermischung, Aerosolvorkommen und mehr.
Heute, fast anderthalb Jahren nach dem Ende der Expedition, werden die gesammelten Rohdaten zunehmend ausgewertet und in benutzerfreundliche Datenprodukte für die Veröffentlichung gewandelt. Die verschiedenen Teams sind von den ersten Ergebnissen der Auswertung begeistert. Detaillierte, ausführliche Analysen werden auf diese Grundlage durchgeführt und in künftigen Veröffentlichungen von den jeweiligen Forschungsgruppen erscheinen.
Ein großer Schritt für die Klimamodellierung
In den kommenden Jahren werden die atmosphärischen Beobachtungsdaten aus MOSAiC einer ganzen Reihe an Modellen zugutekommen. Die Beobachtungen werden dazu verwendet, um (i) Modelle mittels eines prozessbasierten Ansatzes zu bewerten, (ii) zu einem besseren Verständnis von arktischen Prozessen beizutragen, (iii) Modelle und deren Parameterisierungen zu verbessern, und (iv) unser Verständnis vom Klimawandel in der Arktis und unsere Fähigkeit, seine künftige Entwicklung zu prognostizieren, voranzubringen. Die jüngst von Shupe et al. (2022) veröffentliche Zusammenfassung liefert neue Perspektiven auf diese Forschung, schlägt relevante Forschungsfragen für künftige Modellstudien vor, und gibt Beispiele solcher Aktivitäten. Verbundene Forschungsprojekte laufen gerade, darunter folgende Highlights: hochauflösende Verwirbelungs-Simulationen und Prozessmodellierung für kleinmaßstäbliche Prozesse in Bezug auf Wolken, die atmosphärische Zusammensetzung und atmosphärische Grenzschicht, die in der MOSAiC-Gitterzelle beobachtet wurden. Weitere Studien haben das Ziel, die Zuverlässigkeit von numerischen Wettervorhersagemodellen zu bewerten und zu verbessern. Unter der Schirmherrschaft des Year of Polar Prediction (YOPP) wurde zum Beispiel ein systematischer Vergleich von Vorhersagemodellen und Messstellen, darunter die MOSAiC-Scholle, ins Leben gerufen. Die zusätzlichen atmosphärischen Beobachtungen aus MOSAiC werden auch angewandt, um die Vorhersehbarkeit von synoptischen Ereignissen im Troposphäre-Stratosphäre-System zu untersuchen und zu optimieren. Dies geschieht im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten SynopSys -Projekts. Zu guter Letzt werden prozessbasierte Modellbewertungen durchgeführt, um Fehler in der Darstellung von „schnellen“ Prozessen wie Wolkenfeedbacks und Wärmeflüsse an der Oberfläche zu identifizieren. Diese können zu systematischen Messabweichungen in klimamodellbasierten Vorhersagen des arktischen Klimawandels führen, einem Thema, das die zwei neue EU H2020-Projekte CRiceS und PolarRES sich widmen. „Die Unsicherheiten in klimamodellbasierten Vorhersagen zu reduzieren stellt einen wichtigen Meilenstein für die kommenden Jahrzehnten dar, um Unterstützung für die unausweichliche Entscheidungsfindung in Bezug auf den Klimawandel und die Klimamitigation anbieten zu können“, sagt Annette Rinke vom AWI Potsdam.
Quellenangabe
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Annette Rinke, John J. Cassano, Elizabeth N. Cassano, Ralf Jaiser, Dörthe Handorf; Meteorological conditions during the MOSAiC expedition: Normal or anomalous?. Elementa: Science of the Anthropocene 21 January 2021; 9 (1): 00023. doi: doi.org/10.1525/elementa.2021.00023
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