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Biogeochemie

Bedeutung von Meereis für biogeochemische Kreisläufe

Meereis ist kein statisches Medium. Es bietet ein saisonales bis mehrjähriges Reservoir für Partikel und gelöste Stoffe und ermöglicht verschiedene Ökosystemprozesse, die Nährstoffe und organische Stoffe zirkulieren und die polare marine Biogeochemie lenken. Als natürliche Barriere zwischen dem Ozean und der Atmosphäre hat das Meereis einen starken Einfluss auf biogeochemische Prozesse. Es besteht aus einer dynamischen Matrix von reinem Eis, mit Salzlake gefüllten Zwischenräumen und Gasblasen. Im Allgemeinen werden die Anfangskonzentrationen der gelösten Stoffe im Meereis durch die Zusammensetzung des Meerwassers bestimmt, aus dem sich das Meereis gebildet hat. Bei seiner Bildung wird biogeochemisches Material (z. B. Makronährstoffe, Eisen, organische Substanzen, Sedimente) im Meereis gespeichert und umgewandelt und später im Meerwasser freigesetzt, wenn das Eis schmilzt. Mit der Eisschmelze werden gelöste und feste Nährstoffe sowie organisches Material in die Wassersäule freigesetzt, wo sie pelagische Prozesse beeinflussen oder zum Partikelexport beitragen können. Die Biogeochemie des Meereises hat eine große Bedeutung für das polare Meereissystem (Meiners und Michel, 2017). Die Stoffflüsse an den Grenzflächen Meereis-Ozean wie auch Atmosphäre – Schnee / Eis beeinflussen ebenfalls die Konzentration an gelösten Stoffen. Darüber hinaus reichern sich organische Stoffe im Meereis als Ergebnis der auto- und heterotrophen Produktion an. Durch die Drift des Meereises, induziert durch Winde und Meeresströmungen, verteilt sich das biogeochemische Material lateral in andere Meereisregionen (Vancoppenolle et al., 2013). Aktive biogeochemische Prozesse im Meereis umfassen Makronährstoffe, Spurenelemente, organischen Kohlenstoff, anorganischen Kohlenstoff, andere klimatisch relevante Gase (DMS, Methan, Lachgas), die atmosphärische Halogenchemie in starker Wechselwirkung mit ozeanischen und atmosphärischen Prozessen und die Fällung von Mineralien wie z. B. Gips (Kalziumsulfat) oder Ikait (ein wasserhaltiges Kalziumkarbonat) (Dieckmann et al., 2008; Wollenburg et al., 2018).

Manche Substanzen werden bereits im Wasser nahe der Oberfläche chemisch verändert oder von Organismen aufgenommen, andere gelangen in die tiefere Wassersäule oder bis zum Meeresboden. Durch das Freisetzen von Nährstoffen und anderen Materialien werden Algenblüten initiiert. Dieser Prozess ist im Südpolarmeer besonders ausgeprägt, weil das Wasser dort für gewöhnlich sehr arm an Eisen ist – einem wichtigen Pflanzennährstoff. Gelangt nun mit der Schmelze auf einen Schlag viel Eisen aus dem Eis ins Meer, nehmen das Algenwachstum und damit die Primärproduktion enorm zu. Dies ist vor allem an den Eisrändern der Fall, weil die Lichtintensität hier am größten ist (Vancoppenolle et al., 2013).

In den Meereswissenschaften versteht man unter dem Begriff Makronährstoffe generell jene anorganischen chemischen Verbindungen, die Algen in großen Mengen aufnehmen und zum Aufbau von Biomasse benötigen. Dies umfasst gelöstes Nitrat (NO3-), Nitrit (NO2-), Ammonium (NH4+), Phosphat (PO43-) und Kieselsäure (Si(OH)4). Die Makronährstoffe, Spurenelemente und anderen Materialien sind nicht über die gesamte Eismasse homogen verteilt. Innerhalb des Eises gibt es Bereiche mit höheren oder niedrigeren Nährstoffkonzentrationen. Eine Analyse von Vertikalprofilen des Meereises der wichtigsten biogeochemischen Tracer zeigt verschiedene Verläufe. In Abwesenheit von biologischer Aktivität oder Remineralisation, folgen die anorganische Makronährstoffe im Allgemeinen dem Salzgehalt. Als Folge davon können die Konzentrationen in der Solefraktion des Eises bei kaltem Eis sehr hoch sein (Arrigo, 2014). Alle Makronährstoffe sind in der Sole gelöst. Signifikante Abweichungen der Nährstoffkonzentrationen im Vergleich zum Salzgehalt sind mit der biologischen Aktivität verbunden. So kann die Nährstoffaufnahme durch Mikroalgen und der Abbau organischer Stoffe durch Bakterien die Beziehung zwischen Nährstoffen und Salzgehalt in den Solekanälen deutlich verändern. Nährstoffe können auch nach der Eisbildung ins Meereis gelangen. Die während des Entsalzungsprozesses durch die Solekanäle aus dem Eis fließende Sole, wird durch ein ungefähr gleiches Volumen Meerwasser mit neuen Nährstoffen ersetzt (Arrigo, 2014).

Klassischer Weise werden fünf Prozesse aufgeführt, die zur Freisetzung von Salz und gelösten Stoffen aus dem Meereis beitragen sollen: anfängliche Abstoßung gelöster Stoffe an der Eis-Meerwasser-Gefriergrenzfläche, Diffusion gelöster Stoffe, Sole-Ausstoß ("brine expulsion"), Schweregetriebene Drainage ("gravity drainage") und Auswaschung ("flushing") (Meiners und Michel, 2017). Die letzteren beiden werden als die treibenden Kräfte des Salzverlustes identifiziert und sind somit die wichtigsten physikalischen Prozesse, die die Makronährstoffe im Meereis regulieren.

Weiterhin werden Makronährstoffe und viele Spurenmetalle wie etwa Eisen auch über die Luft ins Eis eingetragen. Diese Substanzen haften in geringen Mengen an der Oberfläche von Staubpartikeln, die durch Luftströmungen in die Polarregionen transportiert werden. Die Staubpartikel lagern sich entweder direkt auf dem Eis ab oder werden mit dem Schnee aus der Atmosphäre ausgewaschen. Staubpartikel enthalten relativ geringe Mengen an Makronährstoffen, aber relativ große Mengen an Spurenmetallen wie Eisen (Arrigo, 2014). Diese Nährstoffe stehen der Meereisgemeinschaft oder dem pelagischen Ökosystem nach dem Schmelzen des Eises zur Verfügung.

In Regionen, in denen Eisen (Fe) potentiell das Phytoplankton-Wachstum begrenzt (Südpolarmeer und Nordpazifik), führte der Nachweis hoher Fe-Konzentrationen im Meereis, die viel höher sind als die in der Wassersäule, dazu, die Rolle des saisonalen Meereisrückgangs als potenzieller Auslöser für Phytoplanktonblüten in Fe-begrenzten Gewässern zu untersuchen. Eisen ist wichtig für die Photosynthese und die Nährstoffaufnahme. Eine geringe Fe-Verfügbarkeit für Phytoplankton verringert die Wachstumsraten und die Häufigkeit großer Phytoplanktonklassen, da kleine Phytoplanktongruppen ein hohes Oberfläche-Volumen-Verhältnis aufweisen und Eisen effizienter assimilieren als großes Phytoplankton. In Regionen, in denen es reichlich Fe gibt (wie im Arktischen Ozean aufgrund der Nähe der Kontinente), spielt die Fe-Freisetzung durch Meereis jedoch eine geringere Rolle. Der Beitrag der möglichen Mechanismen, die den Fe-Kreislauf im Meereis antreiben, ist noch nicht vollständig verstanden (Vancoppenolle et al., 2013). Gelöstes Eisen im antarktischen Meereis kann dort bis zu einem Faktor drei gegenüber dem eisenarmen Meerwasser angereichert sein, wodurch das Meereis zu einem wichtigen Eisenreservoir wird (Meiners und Michel, 2017). Die Freisetzung von Fe durch das Schmelzen von Meereis trägt teilweise zu großen Blüten am Rand der Eisschollen bei. Es muss jedoch beachtet werden, dass Fe nach seiner Freisetzung in die Wassersäule für Phytoplankton möglicherweise nicht immer leicht verfügbar ist, da einige Formen für die Assimilation im Plankton nicht genutzt werden können. Die sogenannte Bioverfügbarkeit von Fe, die noch schwer vorherzusagen ist, ist eine Funktion der physikalischen und chemischen Formen von Fe sowie der Aufnahmestrategien, die von den verschiedenen Biota genutzt werden, um auf das Fe Zugriff zu erhalten (Vancoppenolle et al., 2013). Im Vergleich zu marinen Quellen sind atmosphärische Quellen (z.B. durch Schnee) eine geringe Quelle für Eisen (Meiners und Michel, 2017).

Neben den Nährstoffen werden auch Spurengase ins Eis eingetragen, die von Mikroorganismen im Meer gebildet werden. Das am häufigsten auftretende Spurengas ist Dimethylsulfid (DMS). Es entsteht, wenn Bakterien die Verbindung Dimethylsulfoniopropionat (DMSP) abbauen, das von Algen gebildet wird. Pflanzen nutzen DMSP unter anderem als Kälte- und Gefrierschutzmittel, daher wird es von den Algen vermehrt bei sehr niedrigen Temperaturen und hohen Salzgehalten produziert. Die Meereiskonzentrationen von DMS und DMSP sind nicht nur extrem hoch, sondern auch extrem variabel, wie hochauflösende vertikale Profile und starke regionale und saisonale Schwankungen zeigen (Vancoppenolle et al., 2013). Diese Variabilität resultiert aus komplexen Wechselwirkungen zwischen den physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen, die den DMS(P)-Zyklus antreiben, und den thermodynamischen Prozessen des Meereises. Viele dieser Prozesse sind in Feldstudien nur schwer zu verfolgen und bleiben schlecht quantifiziert und verstanden (Vancoppenolle et al., 2013). Das Schmelzen von Meereis erhöht die Konzentration von DMS in Oberflächengewässern der polaren Ozeane erheblich, entweder direkt durch die Freisetzung von DMS(P) oder durch das Einsetzen von Phytoplanktonblüten. Diese DMS(P)-Impulse können die regionalen ozeanischen DMS-Emissionen erheblich erhöhen.

Gäbe es kein Meereis, dann würden der Ozean in den Polarregionen und die Atmosphäre ungehindert Gase austauschen. So nimmt der Ozean global beispielsweise knapp ein Drittel an Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre auf. Doch selbst wenn Eis das Meer bedeckt, gibt es immer wieder einmal offene Stellen, an denen ein Gasaustausch zumindest lokal stattfinden kann. Das können beispielsweise Polynjas, Eisrinnen oder Wasserwege in Küstennähe sein. Es wurde lange angenommen, dass der großräumige CO2-Austausch zwischen Ozean und Atmosphäre nur während der offenen Wassersaison erfolgt.

Kohlendioxid kann im Meerwasser zu verschiedenen anderen kohlenstoffhaltigen Substanzen reagieren, zu denen unter anderem auch Bikarbonat (HCO3-) und Karbonationen (CO32-) zählen.

Es gibt im Ozean drei Arten von Kohlenstoff:

  1. gelöster anorganischer Kohlenstoff (dissolved inorganic carbon = DIC),
  2. gelöster organischer Kohlenstoff (dissolved organic carbon = DOC) und
  3. partikular organischer Kohlenstoff (particulate organic carbon = POC).

Die gesamte im Ozean gelöste Menge an CO2 ist 50 Mal größer als der atmosphärische Kohlendioxid-Gehalt und 20 Mal größer als das an Land (Vegetation und Böden) gespeicherte Kohlendioxid.

In marinen Systemen stammt DOC entweder aus autochthonen oder allochthonen Quellen. Autochthone DOC wird innerhalb des Systems hauptsächlich von Planktonorganismen und in Küstengewässern zusätzlich von benthischen Mikroalgen, benthischen Flüssen und Makrophyten produziert, während allochthone DOC hauptsächlich terrestrischen Ursprungs ist, ergänzt durch Grundwasser und atmosphärische Einträge (Lønborg et al., 2020).

DIC wird wie viele andere Substanzen auch während der Eisbildungsphase mit in die Solekanäle eingeschlossen, kann aber zum Teil mit der Soleflüssigkeit wieder freigesetzt werden. Auch ist es möglich, dass das CO2 aus der Soleflüssigkeit entweicht und anschließend in Form von CO2-reichen Luftblasen in die Eisstruktur eingebunden wird (Vancoppenolle et al. 2013). Über verschiedene Entgasungsprozesse kann COaber auch direkt aus dem Eis in die Atmosphäre übergehen. 

Neben dem gelösten anorganischen Kohlenstoff (DIC) gibt es im Meer zudem den gelösten organischen Kohlenstoff (dissolved organic carbon, DOC), zu dem unter anderem Kohlenhydrate, Proteine oder auch Aminosäuren oder komplexe Substanzen wie Huminstoffe und viele andere Moleküle gehören. DOC ist definiert als organische Substanz kleiner als 0,2 µm. DOC ist in der Soleflüssigkeit angereichert. Die Konzentration ist bis zu drei Größenordnungen höher als im darunterliegenden Meerwasser (Vancoppenolle et al. 2013). Das DOC in der Arktis kommt zu einem großen Anteil aus Flüssen, während es im Südpolarmeer hauptsächlich autochthonen (direkt vor Ort) Ursprungs ist (Lønborg et al., 2020).