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Konsumenten

Einzellige Primärproduzenten im Eis (autotrophe Algen und Bakterien) sind die Grundlage des Nahrungsnetzes im Eis: Sie nehmen CO2 auf und stellen daraus mit Hilfe der Energie des Lichtes Kohlenstoffverbindungen her (Photosynthese). Man bezeichnet sie als „sich selbsternährend“, also als autotroph oder auch phototroph. Andere im Meereis beheimatete Organismen nehmen den Kohlenstoff hingegen mit ihrer Nahrung auf; sie sind heterotroph. Dazu zählen einzellige Organismen, die Protisten oder Protozoen, die sich von Algen aber auch von Bakterien und Archaeen (ursprüngliche Bakterien) ernähren.

Die häufigste Gruppe sind hier die Ciliaten (Wimpertierchen). Auch Flagellaten sind weit verbreitet, darunter heterotrophe Dinoflagellaten (Panzergeißler). Darunter findet man auch die sogenannten kleptoplastidischen Dinoflagellaten, die Chloroplasten aus gefressenen Algen oder Bakterien konservieren und dann selbst zur Photosynthese nutzen können. Andere Flagellaten im Meereis gehören zu den Choanoflagellaten (Kragengeißeltierchen). Weitere heterotrophe Protisten sind Gymnamoeben (Nacktamöben), Foraminiferen (Kammerlinge), Acantharien und Radiolarien (Strahlentierchen) (Caron et al., 2017), die Schleimfüßchen ausbilden und ihre Beute damit umfließen können. Bis heute hat man die mikrobiellen Nahrungsnetze im Meereis kaum verstanden. Aktuelle Studien aber zeigen, dass die heterotrophen Protisten viele unterschiedliche Ernährungsstrategien verfolgen.

Wie auch Algen, Bakterien und Archaeen gelangen die einzelligen Konsumenten (Protozoa) in das Meereis, während es sich bildet. Sie werden dabei gewissermaßen in die Eisstruktur eingeschlossen. Die meisten von ihnen finden sich in Solekanälen, in Presseisrücken im Eis, im Schmelzwasser an der Schnee-Eis-Grenze und an der Unterseite des Eises sowie in Schmelztümpeln auf dem arktischen Meereis (Caron et. al., 2017). Die heterotrophen Protisten leben unter extremen Bedingungen: Der Salzgehalt in den Solekanälen und dem Meerwasser unterscheidet sich extrem (im Arktischen Ozean liegt die Salinität bei circa 32 bei Solekanälen kann er bei 42 bis 93 liegen (Wakatsuchi und Ono, 1983), die Temperatur im Eis kann stark schwanken und die Lichtintensität verändert sich nicht nur im Jahreszyklus, sondern unterscheidet sich auch zwischen z. B. Ober- und Unterseite des Eises. Niedrige Temperaturen führen dazu, dass die Fraß- und Wachstumsraten eher abnehmen. Jedoch ist der Effekt von Temperaturschwankungen auf das Wachstum noch nicht vollends verstanden.

Man findet die heterotrophen Protisten vor allem dort, wo es viele Bakterien und Algen als Nahrung gibt. Im Sommer wächst ihre Population maximal, da dann das Angebot an Beute am größten ist. Infolgedessen ist die größte Biomasse während der Eisschmelze im Spätsommer zu erwarten. Die Biomasse und auch die Abfallprodukte der heterotrophen Protisten gelangen in dieser Zeit als Partikel in das Meerwasser und tragen maßgeblich zum Fluss organischen Materials in der Wassersäule bei.

In den Küstenbereichen der Antarktis tragen die einzelligen Konsumenten (Protozoa) aus dem Meereis z.B. beinahe 20 Prozent zur gesamten mikrobiellen Biomasse bei. Bis zu zehn Prozent der Biomasse treten dabei in den unteren Schichten des Meereises auf (Caron et al., 2017). Im grönländischen Packeis machen heterotrophe Flagellaten im Durchschnitt 20 Prozent der gesamten mikrobiologischen Biomasse aus. Das relative Vorkommen von autotrophen und heterotrophen Protistenarten ist in der Antarktis und in der Arktis ähnlich. Ihre absolute Häufigkeit im Meereis (Anzahl der Zellen pro Volumen geschmolzenen Meereises) ist oft eine bis zwei Größenordnungen höher als im Meerwasser (Anzahl Zellen pro Volumen Meerwasser).

Meereis-Mikrokonsumenten...

  • nehmen partikulären organischen Kohlenstoff (z. B. EPS, Bakterien oder Algen) auf und spielen damit eine wichtige Rolle in den biogeochemischen Kreisläufen der Polargebiete.
  • remineralisieren die aufgenommenen organischen Verbindungen zu anorganischen Nährstoffen. Diese dienen den Bakterien als Substrat, um wachsen zu können, welche wiederum die Primärproduktion antreiben.
  • sind eine wichtige Komponente in den Nahrungsbeziehungen (trophische Interaktionen) der Meereislebensgemeinschaft
  • bilden zusammen mit Eisalgen einen Vorrat an organischem Material, der im Winter im Eis eingeschlossen wird und damit sowohl eine Nahrungsquelle für überwinternde Organismen als auch eine Starthilfe für das Ökosystem im Frühjahr bietet.

Caron, D. A., R. J. Gast & M.-E. Garneau (2017): Sea ice as a habitat for micrograzers, In: Sea Ice, D. N. Thomas (ed.), 3rd edition, Wiley-Blackwell, Chichester (UK), Hoboken (NJ), 370-393.
Lizotte, M.P. (2003): The Microbiology of Sea Ice, In: D. N. Thomas & G.S. Dieckmann (eds.) Sea Ice, Oxford: Wiley-Blackwell, 201.
Wakatsuchi M. & N. Ono (1983): Measurements of salinity and volume of brine excluded from growing sea ice, Journal of Geophysical Research Oceans, doi.org/10.1029/JC088iC05p02943

In diesem Kapitel werden die mit dem Meereis assoziierten Metazoen (vielzellige Tiere) beschrieben. Sie umfassen sowohl die kleinen Organismen, die das Solekanalsystem des Eises (Meiofauna) bewohnen, als auch die größeren Tiere, die in der Meereis-Wasser-Grenzschicht zu finden sind (Untereisfauna) (Bluhm et al., 2017).

Die Mehrzahl der Arten im Eis findet man auch in der Wassersäule und / oder am Meeresboden; nur wenige bewohnen ausschließlich das Meereis. Während einige Arten in beiden Polargebieten vorkommen, sind Rotatorien (Rädertierchen) und Nematoden (Fadenwürmer) häufiger im arktischen Meereis und Copepoden (Ruderfußkrebse) häufiger im antarktischen Meereis zu finden sind. Nesseltiere (Cnidaria) und Schnurwürmer (Nemertea) sind bisher nur aus dem arktischen Meereis bekannt, während Rippen- oder Kammquallen (Ctenophora) und Nacktkiemer (Nudibranchia) bisher nur in den Solekanalsystemen des antarktischen Packeises gefunden wurden. Die Vielfalt der Unter-Eis-Fauna hängt davon ab, in welchem Umfang die obere Wassersäule in die Betrachtung mit einbezogen wird. Generell ist dort die Artenvielfalt höher als im Eis. Mindestens 40 Arten sind für diesen Lebensraum bekannt (Bluhm et al., 2017). Zu diesen gehören zum Beispiel Crustacea (Krebstiere) wie Copepoden und Krill, Fische und Strudelwürmer. Des Weiteren findet man hier die freischwimmenden Larven von Fischen und Krebsen (Arrigo, 2014). Die Tiere nutzen das Meereis als Weidegrund oder als Schutz vor Räubern (Prädatoren) und bilden ein komplexes Nahrungsnetz.

Das Meereis bietet aufgrund seiner großen saisonalen und regionalen Schwankungen eine Bandbreite an Lebensräumen für die an das Meereis angepasste Fauna. Im Laufe des Jahres verändern sich das Meereis und damit die Lebensbedingungen der Tiere. Die Populationsgrößen schwanken während des Jahreszyklus. Vom Frühling bis zum Sommer steigen sie sehr stark an. Dieser Anstieg kann zwischen einer bis zur vierfachen Größenordnung betragen (Arrigo, 2014). Pro Quadratmeter Eisfläche können enorme Individuenzahlen erreicht werden: von weniger als 10 bis zu mehr als 300.000 Individuen in den Solekanälen und von 0 bis größer 10.000 Individuen unter dem Eis (Bluhm et al. 2017). Dabei wird unterscheiden, ob die Tiere das Meereis permanent oder nur zeitweise als Lebensraum nutzen. Einige arktische Arten verbringen ihren gesamten Lebenszyklus im oder unter dem Meereis. Andere kommen nur während einer bestimmten Lebensphase dorthin oder vermehren sich im Meereis und werden während der Eisschmelze wieder ins Meerwasser entlassen. Andere kommen insbesondere dann dort hin, wenn die Nahrungskonzentration dort hoch ist (Bluhm et al. 2017).

Die Meiofauna umfasst kleine, oft längliche Mehrzeller, die das Kanalsystem des Eises bewohnen können. Hierzu zählen verschiedene wurmartige Organismen wie Nematoden und Turbellarien, aber auch Rotatorien, Copepoden (Ruderfusskrebse), Hydroidpolypen und Nacktschnecken. Sie alle bilden ein verzweigtes Nahrungsnetz, bei dem die Tiere vor größeren Räubern (Prädatoren) geschützt sind (Werner, 2014). Einige sympagische (= im Meereis lebende) Arten (z. B. die antarktische Nacktschnecke Tergipes antarctica und der Copepode Stephos longipes) sind mit speziellem Gefrierschutz wie der thermische Hysterese und osmotisch wirksamen Substanzen sehr gut an niedrige Temperaturen und schwankende Salzgehalte angepasst. Solche genetischen und physiologischen Anpassungen sind die Voraussetzung für die dauerhafte Besiedlung des extremen Lebensraumes (Werner, 2014).

Die Unterseite des Meereises ist ein spezieller Lebensraum, der sowohl von den Eigenschaften des Eises als auch von denen der direkt darunterliegenden Wasserschicht beeinflusst wird. Ein entscheidender Faktor für die Besiedlung dieser Grenzschicht ist die Morphologie der Eisunterseite, die mit ihren Spalten und Löchern, Vorsprüngen und Kielen spezifische Mikrohabitate, z. B. durch Veränderungen der Strömungsgeschwindigkeit, schafft. Da die Biomassen der sympagischen Algen, Proto- und Metazoen meistens in den unteren Zentimetern des Eises konzentriert sind, herrschen an der Eisunterseite – außer im Winter, wenn sich neues Eis an der Unterseite des Eises bildet - gute Nahrungsbedingungen (Werner, 2014).

Auch die Unterseite des Eises ist - abhängig von der Jahreszeit - teils sehr artenreich. Unter dem Eis lebende Tiere spielen eine wichtige Rolle als Bindeglied zwischen der Meereisalgenproduktion und den Organismen der höheren trophischen Ebenen, denen sie als Nahrungsquelle dienen. In beiden Polargebieten kommen unter dem Packeis eine Vielzahl von Copepoden (Ruderfußkrebsen) in großen Mengen vor, die die Eis-Wasser-Grenzschicht als dauerhaften oder vorübergehenden Lebensraum zur Nahrungsaufnahme, als Kinderstube für junge Stadien (z. B. Eier, Larven). Abgesehen von der Funktion eines eigenständigen Habitats spielt die Eisunterseite eine wichtige Rolle bei diversen Prozessen, die die Lebensräume Meereis und Pelagial (und sogar Benthal) über Stoff- und Energieflüsse miteinander verknüpfen, z. B. die genannten Fressaktivitäten und Wanderungen von sympagischen, pelagischen und benthischen Arten, sowie Einschluss und Freisetzung von Organismen bei der Eisbildung bzw. Eisschmelze (Winter, 2014).

Die auffälligsten tierischen Bewohner in der Arktis sind mehrere Arten von Untereis-Amphipoden (Flohkrebsen), die „kopfüber“ von der Eisunterseite herabhängen und ihren gesamten, mehrjährigen Lebenszyklus hier durchlaufen (Winter, 2014). Die besondere ökologische Rolle der Untereis-Amphipoden besteht in der trophischen Verbindung zwischen Meereis und Wassersäule, die sie als wichtige Beuteorganismen von kryopelagischen Fischen (z.B. Polardorsch) und tauchenden Seevögeln (z. B. Krabbentaucher) darstellen (Winter, 2014). In der Antarktis hingegen sind es vor allem zwei Arten von Krill (Euphausia superba, E. crystallorophias), die als Makrofauna die Unterseite des Packeises besiedeln, allerdings nur im Winter und Frühjahr, wenn die Eisalgenbiomasse als Nahrungsquelle genutzt wird. Der Antarktische Krill Euphausia superba ist im Südpolarmeer eine wichtige Schlüsselart für das gesamte antarktische Ökosystem. Diese Art kommt ausschließlich im antarktischen Polargebiet vor und ist in bestimmten Gebieten des Polarmeeres neben den Ruderfußkrebsen (Copepoden) der dominante Sekundärkonsument. Der Krill und die Ruderfußkrebse leben in den oberen Wasserschichten und unter dem Eis. Hier weiden sie besonders im Winter und Frühling Eisalgen ab, wenn noch keine ausgedehnte Phytoplanktonblüte stattgefunden hat.

Im Nahrungsnetz der Polarregionen spielen die Makrokonsumenten eine wichtige Rolle. Makrokonsumenten…

  • die im Salzlaugenkanalsystem im Meereis leben, nehmen partikulären organischen Kohlenstoff auf (zum Beispiel EPS, Bakterien oder Algen) und stellen anorganische Nährstoffe durch Ausscheidung zur Verfügung.
  • wie zum Beispiel Meereis-Flohkrebse (Amphipoden) sind relevant für die Ernährung der zwei einzigen eisassoziierten Fischarten in den arktischen Gewässern, dem Polar- und dem Grönlanddorsch (Boreogadus saida, Arctogadus glacialis).
  • wie zum Beispiel die unter dem Eis lebenden Ruderfußkrebse und Flohkrebse spielen eine wichtige Rolle als Bindeglied zwischen der Meereisalgenproduktion und den höheren trophischen Ebenen.
  • wie der antarktische Krill (Euphausia superba) spielen eine entscheidende Rolle für das antarktische Ökosystem. Verschiedene antarktische Krillarten nehmen Schlüsselpositionen im antarktischen Nahrungsnetz ein.

Arrigo, K.R. (2014): Sea ice ecosystems, Annual Review of Marine Science, vol. 6, pp. 439-467.
Arrigo, K.R. (2017): Sea ice as a habitat for primary producers, In: D.N. Thomas (ed.) Sea Ice, 3rd edition, Wiley-Blackwell, Chichester (UK) Hoboken (NJ), 352-369.
Bluhm, B.A., K. M Swadling & R. Gradinger (2017): Sea ice as habitat for macrograzers, In: D.N. Thomas (ed.) Sea Ice, 3rd edition, Wiley-Blackwell, Chichester (UK) Hoboken (NJ), 394-414.
Schiel, S., Cornils, A., Niehoff, B. (2017). Leben im Pelagial. In: Hempel, G., Bischof, K., Hagen, W. (eds) Faszination Meeresforschung. Springer, Berlin, Heidelberg, 27-40.
Schnack-Schiel, Sigrid. (2010). Stephos longipes - ein Eiscopepode. Naturwissenschaftliche Rundschau. 63. 596-597.
Werner I. (2014): Das Meereis als Lebensraum, In: Lozán, J.L., H.Grassl, D.Notz & D.Piepenburg: WARNSIGNAL KLIMA: Die Polarregionen. Wissenschaftliche Auswertungen, Hamburg, 140-144.