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Im Angesicht des Nordpols

Meereisvorhersage Meereismodelle Arktis

Vier Monate nach dem Start des MOSAiC Drift-Experimentes ist der Nordpol weniger als 160 Kilometer entfernt.

Zusammenfassung

Vier Monate nach dem Start des MOSAiC Drift-Experimentes ist der Nordpol weniger als 160 Kilometer entfernt. Die aktuellen Vorhersagen internationaler Vorhersagezentren und Forscher, die vom Sea Ice Drift Forecast Experiment (SIDFEx) gesammelt und ausgewertet wurden, lassen offen, ob es sogar noch weiter nach Norden gehen könnte. Aufgrund der schnellen Westwärtsbewegung und des festen Griffs der Transpolardrift ist es jedoch unwahrscheinlich, die Datumsgrenze zu überqueren, d.h. den Nordpol auf der Seite Alaskas zu passieren. Eine weitere gute Nachricht: Die Wahrscheinlichkeit, vor Oktober 2020 in den offenen Ozean zu geraten, beträgt immer noch nicht mehr als 10-15 %.

Am Sonntag, dem 23. Februar 2020, erreichte die MOSAiC-Expedition an Bord des Eisbrechers FS Polarstern 88,5987°N. Damit wurde der nördlichste Punkt der Expedition von Fridjof Nansen vor 125 Jahren bereits um mehr als zwei Grad übertroffen. Während Nansens Ziel darin bestand, den Nordpol zu erreichen, verfolgt der Wissenschaftsplan der MOSAiC Expedition andere Ziele. Hier stehen das Verständnis des arktischen Klimasystems und seine verbesserte Darstellung in globalen Klimamodellen im Vordergrund der Untersuchungen. Da FS Polarstern jedoch so nahe am Nordpol ist, stellt sich für die Teilnehmenden und Beobachtenden die Frage, wie nahe FS Polarstern dem Pol letztendlich kommen kann. Eine weitere Frage ist, ob das Drift-Camp den zielstrebigen Kurs in Richtung Framstraße, der Passage zwischen Grönland und Spitzbergen, die nach Nansens Schiff benannt wurde, fortsetzen wird, oder ob die Expedition noch den Pol auf der "anderen Seite", über die Datumsgrenze, passieren könnte.

Driftvorhersage als wichtige Voraussetzung für die Expeditionsplanung

Bei der Planung der Route für seine Expedition von 1893, die den Nordpol erreichen sollte, hatte Nansen nur wenige Trümmer des Schiffswracks der Jaennette, die vor der Südwestküste Grönlands gefunden worden waren, als Indiz für die Transpolardrift zur Verfügung (siehe Nansen, 1897 und Zitat darin). Nach mehr als einem Jahrhundert der Forschung und Innovationen kann sich die Planung und Durchführung einer so großen Wissenschaftsmission wie MOSAiC heute auf Millionen von Erdbeobachtungsdaten und Ergebnisse komplexer Wetter- und Klimamodelle stützen, die auf Supercomputern laufen und die Entwicklung unserer Umwelt auf der Grundlage der physikalischen Gesetze simulieren. Die Planung für die MOSAiC-Drift, insbesondere wo und wann sie beginnen sollte, stützte sich auf Satellitenbeobachtungen der arktischen Meereisdrift aus den letzten zwei Jahrzehnten. Diese historischen Informationen lieferten eine solide Grundlage dafür, welche Drift für 2019/20 zu erwarten war. Viele Monate vor einer geplanten Mission liefern solche klimatologischen Informationen bisher die beste Basis als Planungsinstrument. Das liegt daran, dass auch moderne Vorhersagesysteme, welche die Bewegungen des Meereises simulieren, jenseits weniger Wochen nur schwerlich zusätzliche Informationen über die zu erwartende Drift liefern können. Die chaotische Natur der Atmosphäre bedingt, dass die Winde, die die Eisbewegung antreiben, über einen bestimmten Punkt hinaus weitgehend unvorhersagbar sind.

Methodik der Driftvorhersage

Wenn es jedoch um die Drift in den nächsten Tagen oder Wochen geht, können Echtzeitinformationen aus modernen Vorhersagesystemen die Prognose erheblich verbessern. Diese Vorhersagen sind nützlich für die Missionsplanung und für Anwendungen, wie beispielsweise die Bestellung von hochauflösenden Satellitenbildern von Objekten, die sich mit dem Eis bewegen. Die Beurteilung, wie gut diese Systeme funktionieren, wie sie verbessert werden können und wie historische Informationen am besten integriert werden können, um nahtlose Vorhersagen von Tagen bis zu Monaten zu erstellen, ist die Hauptmotivation für das Sea Ice Drift Forecast Experiment (SIDFEx), eine Initiative des Jahres der Polaren Vorhersage (Year of Polar Prediction, YOPP). Anstatt Vorhersagen auf der Grundlage eines einzigen Systems zu erstellen, führt SIDFEx Vorhersagen von mehr als einem Dutzend Systemen aus vielen Ländern zusammen, um die Genauigkeit zu erhöhen und die Vorhersageunsicherheit zu beschreiben.

Nach zwei Jahren der Vorbereitung und Tests mit Bojen des Internationalen Arktischen Bojenprogramms  (IABP) liefert SIDFEx nun eine „Konsens“-Vorhersage für MOSAiC, die alle sechs Stunden aktualisiert wird. Der erste Teil jeder Konsensvorhersage wird aus mehreren Kurzfristvorhersagen (die in den untenstehenden Weblinks aufgeführt sind) erstellt, die bis zu zehn Tage in die Zukunft reichen. Die zugrundeliegenden Vorhersagesysteme beinhalten Wettervorhersagen, die über die aktuelle atmosphärische Situation "Bescheid wissen“. Logistische Hürden führen jedoch dazu, dass auch diese Vorhersagen in der Regel bereits einen Tag "alt" sind, wenn unsere Konsensvorhersage erstellt wird, und nutzen daher nicht die neuesten (bekannten) Positionsinformationen des Schiffs. Um dies zu beheben, wird der veraltete Teil jeder kurzfristigen Drift-Trajektorie abgeschnitten und der verbleibende Teil so verschoben, dass der Ort zu Beginn der Konsensvorhersage mit dem beobachteten aktuellen Ort übereinstimmt. Darüber hinaus übernehmen zu dem Zeitpunkt, an dem die Trajektorie einer Kurzfristvorhersage endet, mehrere Ensemblemitglieder einer (weniger häufig aktualisierten) saisonalen Vorhersage. Diese werden ebenfalls mit einer Kürzung und Verschiebung bearbeitet, so dass die Trajektorien kontinuierlich bleiben. Dies führt zu einer "nahtlosen" Drift-Vorhersage, einschließlich Ensemble-basierter Unsicherheiten, die die nächsten 120 Tage abdeckt.

 

Ergebnisse der Driftvorhersage

Ein Vergleich des beobachteten Driftpfades mit der vor 120 Tagen veröffentlichten Konsensvorhersage zeigt, dass sich der nördliche Verlauf des MOSAiC-Driftcamps wie erwartet entwickelt hat, während das Camp im Durchschnitt weiter nach Westen getragen wurde als erwartet (Abb. 1, unten). Die tatsächliche Position blieb jedoch innerhalb des geschätzten 90%-Unsicherheitsbereiches der Vorhersage, was auch für den kurzfristigen Teil der Vorhersage gilt (Abb. 1, oben).

In Übereinstimmung mit den satellitengestützten klimatologischen Vorhersagen zeigten die SIDFEx-Vorhersagen, die während der ersten ein oder zwei Monate der Kampagne erstellt wurden, eine ähnliche Wahrscheinlichkeit, den Nordpol auf der atlantischen Seite über den Meridian von Greenwich (0° Länge) oder auf der pazifischen Seite über die Datumsgrenze (180° Länge) zu passieren. Die fortschreitende Eisdrift hat jedoch die Chancen deutlich zugunsten einer Überquerung des Meridians von Greenwich verschoben. Tatsächlich überquert aktuell keine einzige der individuellen Trajektorien der jüngsten Langfristprognosen aller Einzelsysteme die Datumsgrenze, obwohl einige diese nur sehr knapp verfehlen (Abb. 2, links). Der Abstand wird jedoch größer, wenn die aktuellen Kurzfristvorhersagen, die für die nächsten Tage eine weitere Westdrift mit zunehmender Südkomponente anzeigen, berücksichtigt werden, wie es bei der SIDFEx-Konsenvorhersage der Fall ist (Abb. 2, rechts).

Mögliche Auswirkungen der Drift auf den Fahrtverlauf der MOSAiC-Expedition

Was bedeutet dies also für die Frage, wie weit nördlich die MOSAiC-Expedition noch driften und wann dieser Punkt erreicht sein wird? Nach der SIDFEx-Konsensvorhersage (Abb. 2, rechts) liegt die Wahrscheinlichkeit bei 30%, die am Sonntag erreichte Breite von 88,5987°N noch zu überschreiten (Abb. 3). Auch ein Überschreiten von 89°N erscheint noch möglich, wenngleich nur eine der 51 Trajektorien so weit nach Norden vordringt. Was den Zeitpunkt des Rekords angeht, ist alles vom vergangenen Sonntag bis hin zum Mai im Bereich des Möglichen (Abb. 3).

Und schließlich: Hat die schneller als erwartete Westdrift Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Endes der MOSAiC Expedition, indem sie früher als geplant aus dem Packeis freikommt? Diese theoretische Möglichkeit lässt Wissenschaftler und Missionsplaner gespannt auf die Driftroute des Schiffes blicken. Die SIDFEx-Konsensvorhersage reicht hierfür nicht weit genug voraus, aber die jüngste satellitengestützte klimatologische Vorhersage (Abb. 2, braune Kurven) liefert hier Hinweise. Es gibt gute Nachrichten für alle, die hoffen, das gesamte Jahr der MOSAiC-Messungen zu vervollständigen: Die Wahrscheinlichkeit, vor Oktober 2020 in den offenen Ozean zu geraten, beträgt immer noch nicht mehr als 10-15 %.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit Vorhersagen auseinandersetzen, ist klar, dass es eine absolute Sicherheit bei Vorhersagen kaum gibt. Es wäre jedoch eine Überraschung, wenn die Drift der MOSAiC-Expedition eine Wende nehmen und immer noch die Datumsgrenze überqueren würde; zu stark ist der Griff der Transpolaren Drift. Die Kolleginnen und Kollegen, die derzeit an Bord von FS Polarstern sind, sollten die verbleibende Zeit in unmittelbarer Nähe zum Pol weiterhin gut nutzen, denn die Zeichen der Vorhersagen deuten darauf hin, dass es bald auf Südkurs gehen könnte.

Referenzen

Fridtjof Nansen, 1897: Some Results of the Norwegian Arctic Expedition, 1893-96, The Geographical Journal, Vol. 9, No. 5 (May, 1897), pp. 473-505. https://zenodo.org/record/1449224#.Xk-pny1oTOQ

Zitat: „Among the others who made investigations before in the same direction, I must mention Professor Moha, who, when the articles from the Jeannette were found in 1884 on the south-west coast of Greenland, pointed out that they must have drifted straight across the polar basin north of Franz Josef Land and Spitzbergen, and down along the east coast of Greenland.“ Seite 492

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