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Eisbrechen im Packeisgürtel der Arktis

Ozean Meereisdicke Arktis

Ein schwieriges und auch in modernen Zeiten nicht immer berechenbares Unterfangen. Warum offene Wasserrinnen im Eis und der Schnee auf den Schollen sehr wichtig sind, erklären Kapitän Thomas Wunderlich und der Ladungsoffizier Felix Kentges im Interview.

Die FS Polarstern hat die MOSAiC Scholle, die seit letztem Oktober von einem Team aus internationalen Wissenschaftlern erforscht wird, am 16. Mai verlassen, um die Crew für den kommenden Fahrtabschnitt vor Spitzbergen abzuholen. Hierbei musste FS Polarstern den Packeisgürtel mit mehrjährigem Eis in der Framstraße durchfahren. Nun ist die FS Polarstern auf ihrem Rückweg zur MOSAiC Scholle. Wie schnell sich die FS Polarstern ihren Weg durch das Eis bricht, hängt nicht nur von der Dicke des Eises ab.

meereisportal.de: Eisbrechen zu dieser Jahreszeit Mitte Juni ist ein schwieriges Unterfangen, da das Eis noch sehr dick ist. Welche Faktoren beeinflussen das Vorankommen des Schiffes am meisten?

Hr. Wunderlich: Wenn wir Eis brechen, dann gehen wir sehr taktisch vor und suchen uns immer den günstigsten Weg, der auch manchmal ein Umweg sein kann. Zum Beispiel ist es sehr wichtig, dass es in der Region Rinnen mit offenem Wasser gibt. Denn wenn wir Eis an einer Stelle brechen, muss es auch Raum geben, um es wegzuschieben. Die Eisdicke ist natürlich auch wichtig, da dickes Eis unsere Fahrt verlangsamt.

Hr. Kentges: Und dann beeinflusst noch der Schnee auf den Schollen das Vorankommen. Wir brechen Eis, indem wir auf die Schollen fahren und diese dann unter dem Gewicht des Schiffs zerbrechen. Wenn sehr viel Schnee auf einer Scholle liegt, der vielleicht sogar noch nass und deshalb klebrig ist, bleiben wir in dem Schnee stecken und können nicht so viel Eis auf einmal brechen. Das ist wie, wenn man mit dem Fahrrad durch eine Pfütze mit ganz viel Matsch fährt und fast darin stecken bleibt.

meereisportal.de: Welche Informationen nutzen sie, um den Kurs der nächsten Stunden zu planen?

Hr. Wunderlich: Das wichtigste ist, zu wissen, in welchen Eis-Bedingungen wir uns noch sicher mit der FS Polarstern fortbewegen können. Und dann planen wir dementsprechend unseren Kurs mit Hilfe von möglichst aktuellen Meereiskarten. Diese basieren meistens auf Satellitenbildern, auf denen wir dann z. B. offene Wasserstellen erkennen, aber auch wo sich besonders große Schollen befinden. Die Bilder von z.B. dem Satelliten Terra-SAR-X vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sind so hochaufgelöst, dass wir sie wie eine Straßenkarte lesen können. Wenn das Wetter es zulässt, nutzen wir unsere Helikopter, um Eiserkundungsflüge zu machen, um den besten Weg für die nächsten Stunden festzulegen. Und für die Orientierung in unserer direkten Umgebung nutzen wir die Schiffsradar Bilder, die uns zeigen, wo sich dicke Presseisrücken und große Schollen befinden. Für die Zukunft könnten auch Luftaufnahmen von Drohnen eine Rolle spielen.

meereisportal.de: Wie bereiten Sie sich vor einer solchen Fahrt auf die Bedingungen vor Ort vor?
Hr. Kentges: Eisbedingungen können sich sehr schnell verändern, z. B. durch einen Sturm. Deshalb planen wir unsere Route nur wenige Tage im Voraus. Wir machen uns aber vor einer Fahrt mit der saisonalen Eissituation vertraut, z. B. die Lage der Eiskante während der maximalen Ausdehnung des Meereises im März, und tauschen uns aus mit unseren Kollegen, die die letzte Eisfahrt mit der Polarstern in der Region gemacht haben. Aber wie es dann wirklich vor Ort aussieht, das sieht man erst aus dem Fenster.

meereisportal.de: Zurzeit befindet sich die MOSAiC Scholle auf 82.79°N, 7°41 O. Sie waren vor einigen Jahren schon mal in dieser Region während der Expedition PS92. Wie schätzen Sie in diesem Jahr die Bedingungen ein?

Hr. Wunderlich: Stimmt, bei PS92 hatten wir auch große Schwierigkeiten soweit nach Norden vorzustoßen und tatsächlich erinnert uns die Situation zurzeit an diese Fahrt. Wir hatten auf dieser Fahrt mit besonders vielen, sehr großen Schollen zu kämpfen und mussten dann aus Zeitgründen umkehren. Das ist jetzt natürlich ganz anders, da wir viel mehr Zeit zur Verfügung haben und das Eis jetzt auch immer dünner wird, je mehr wir uns dem Sommer nähern. Wir starten jetzt mit viel besseren Startbedingungen.

meereisportal.de: Haben Sie als Kapitän den Eindruck, dass sich die Eisbedingungen so stark verändert, dass auch die Befahrbarkeit erleichtert wird? Zumindest im Sommer?

Hr. Kentges: Für Langzeitbeobachtungen sind wir jedes Jahr zu ähnlichen Zeitpunkten in bestimmten Regionen, was uns ermöglicht, die Eisbedingungen zu vergleichen. Auf unserem Weg zur Antarktis Station Neumayer III mussten wir in den letzten Jahren immer weniger Eis brechen (siehe auch meereisportal.de Beitrag). Dadurch sind wir natürlich schneller vor Ort, aber die Veränderungen sind auch sehr beunruhigend.

Hr. Wunderlich: In der Arktis fällt mir besonders der dramatische Rückgang des Meereises vor Ostgrönland auf. Vor Jahren haben wir noch mit sehr großen Schollensysteme gekämpft, in den letzten Jahren kommen wir mit wenig Aufwand bis zur grönländischen Küste. Besonders eindrücklich war für mich die Reise PS115/1, bei der wir bis zur Nordküste Grönlands vorgestoßen sind. Das ist sehr ungewöhnlich, da das Eis dort eigentlich besonders dick und mehrere Jahre alt ist. Doch in 2018 hatte sich dort ein eisfreier Korridor gebildet, den wir dann befahren konnten (siehe auch dieser meereisportal.de Beitrag).

Das war für mich auch eine der anspruchsvollsten Eisfahrten, da wir schlechte Sicht hatten und wenig Eiserkundungsflüge mit dem Helikopter machen konnten. Gleichzeitig waren wir in einem Seegebiet, das noch kaum vermessen wurde.

meereisportal.de: Danke für das Gespräch.

Am Dienstag, den 09.06.2020 um 11.40 Uhr Bordzeit ist FS Polarstern in den Packeisgürtel in der nördlichen Grönlandsee hineingefahren und hat Kurs auf die MOSAiC Scholle genommen, wo das Team aus internationalen Wissenschaftlern autonome Messstationen zurückgelassen hatte, um auch in ihrer Abwesenheit Daten zu sammeln. Dort angekommen, werden sie ihre Drift mit der Scholle fortsetzen und ihre Messungen wieder aufnehmen.

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