Zum Inhalt springen Zum Footer springen
Als Anwendung installieren

Installieren Sie meereisportal.de als App für ein besseres Nutzungserlebnis.

Newsdetailansicht

Antarktisches Meereis erreicht Rekordminimum im Südwinter

Meereisausdehnung Meereisminimum Antarktis

Es ist Winter in der Antarktis, aber das Meereis ist besorgniserregend gering.

Das Meereis in den Polarregionen folgt einem ausgeprägten saisonalen Zyklus, und jedes Jahr wachsen und schmelzen in der Antarktis etwa 15 Millionen Quadratkilometer Eis. Das Eiswachstum war in diesem Winter jedoch sehr langsam und die Meereisausdehnung in der Antarktis bewegt sich seit Anfang des Jahres auf ihrem niedrigsten Niveau seit Beginn der kontinuierlichen Satellitenmessungen im Jahr 1979. Das Minimum der Meereisausdehnung in der Antarktis hat darüber hinaus am 19. Februar 2023 eine neue Rekordmarke von nur 2,0 Millionen km² erreicht und auch im Monatsmittel das bisherige Allzeittief aus dem Jahr 2022 unterschritten. Am 7. September erreichte das antarktische Meereis sein Maximum mit 17,16 Millionen km². Diese Eisbedeckung ist die niedrigste jemals im Winter beobachtete und liegt ca. 880.000 km² unter dem bisherigen Rekordminimum am 18.09.1986 während des Maximums im Südwinter (einer etwa zweieinhalbfachen Fläche Deutschlands; siehe Abbildung 1). Auch die mittlere monatliche Eisausdehnung im September 1986 war mit 17,71 Millionen km² die geringste beobachtete Eisbedeckung im Winter, gefolgt von den Jahren 2002 (17,90 Millionen km²) und 2017 (17,92 Millionen km²) (siehe Abbildung 1 und Abbildung 2). Diese Mittelwerte werden in diesem Jahr sehr wahrscheinlich unterschritten werden. Tabelle 1 zeigt die Werte der Eisausdehnung in der Antarktis zum winterlichen Maximum seit 2010 im Vergleich zu 1986. Hierdurch wird die außergewöhnliche Situation in diesem Jahr noch einmal besonders deutlich.

Seit dem minimalen Mittelwert im Februar hat sich das Eis nicht wieder erholt und hatte ebenfalls im Mai, Juni und auch im Juli dieses Jahres Rekordniedrigwerte erreicht. Im Juli lag er mit 13,74 Millionen km² ca. 1,35 Millionen km² unter dem bisherigen monatlichen Niedrigwert aus dem letzten Jahr. Auch im August betrug die Differenz zum Jahr 1986 ca. 1,36 Millionen km². Insbesondere im Weddellmeer, der Kosmonauten See und im Rossmeer war weniger Eis als im Vorjahr vorhanden. Die Bellingshausensee war zu großen Teilen noch eisfrei. Lediglich in der Amundsensee hat sich das Meereis deutlich weiter nach Norden über die Eiskante des Vorjahres hinweg ausgebreitet (Abbildung 3).

Die Eisausdehnung und Dynamik des Meereises variieren aus verschiedenen Gründen von Tag zu Tag und von Jahr zu Jahr, und es wurden bereits früher Abweichungen vom langjährigen Durchschnitt, sogar erhebliche, beobachtet. Im Vergleich zur Arktis weist das antarktische Meer eine größere Schwankungsbreite an maximaler und minimaler Ausdehnung auf, was größtenteils auf geografische Unterschiede zwischen den beiden Regionen zurückzuführen ist. Dennoch ist die derzeit geringe Ausdehnung des antarktischen Meereises ungewöhnlich.

In der Antarktis ist es viel schwieriger zu erklären, woher der drastische Meereisrückgang aktuell kommt, als in der Arktis. Die Wissenschaft ist sich hier noch nicht über die Ursachen einig. In der Antarktis ist der Einfluss des Ozeans mindestens so groß wie der der Atmosphäre. Das ist in der Arktis anders: dort ist die Atmosphäre der wichtigere Treiber. Deshalb sind die Ursachen, also was die Meereisvariabilität in der Antarktis beeinflusst, noch viel unklarer als in der Arktis. Für den aktuell langsameren Wachstumsprozess und damit die geringere Meereisausdehnung in der Antarktis spielen viele Faktoren eine Rolle, nicht nur wärmere Luft oder wärmere Wassermassen, sondern auch Strömungen, Winde oder die Luftfeuchte und die Bewölkung. „Es ist bisher unbekannt, wie sich diese Prozesse im Einzelnen verändert haben und wie stark sie momentan zum langsamen Eiswachstum beitragen“, erläutert Prof. Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am AWI, die aktuelle Situation. Eine gerade veröffentlichte Studie zeigt das Zusammenspiel der Erwärmung unter dem Eis im Südpolarmeer und dem Rekordminimum im Frühjahr. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Erwärmung des Ozeans dabei eine wichtige Rolle gespielt hat, das antarktische Meereis in einen möglichen neuen Zustand geringer Ausdehnung zu bringen. Darüber hinaus weist dieser neue Zustand auf unterschiedliche saisonale Langlebigkeiten (Persistenzen) hin. Was wiederum ein Hinweis darauf ist, dass sich die zugrundeliegenden Prozesse, die die Meereisbedeckung in der Antarktis steuern, verändert haben könnten. (Purich, A. and Doddridge 2023).

Somit ist die Ursache dieser außergewöhnlichen Eissituation in der Antarktis aus wissenschaftlicher Sicht nicht im Detail verstanden. Ein möglicher Einfluss könnte in der generellen Änderung von Zirkulationsregimen in der Antarktis liegen, bei dem der ozeanische Wärmeinhalt eine stärkere Rolle als bisher annimmt und damit das Meereiswachstum hemmt. Sowohl eine veränderte Windzirkulation, die wärmere Luftmassen insbesondere auf die Antarktische Halbinsel transportiert, aber auch wärmere Wassermassen, die in die oberflächennahen Schichten einströmen, könnten das Meereiswachstum verzögert haben. Trotzdem gab es diesen Winter einige ungewöhnliche Beobachtungen: Im August lag die Lufttemperatur gegenüber dem Langzeitmittel 1971 – 2000 im Weddellmeer bis zu viereinhalb Grad Celsius und im Rossmeer bis zu sechs Grad Celsius höher (Abbildung 4). Ähnlich verhielten sich die Monate seit April 2023. Außerdem zeigten die Meeresoberflächentemperaturen eine Anomalie gegenüber dem Langzeitmittel, mit teilweise bis zu drei Grad Celsius wärmerem Wasser in den Eisrandzonen (Abbildung 5).

Eine so geringe Meereisbedeckung im Winter kann auch Konsequenzen für die folgende sommerliche Schmelze haben. Es ist jedoch derzeit noch zu früh, hierzu Aussagen zu treffen.  Eine mögliche Folge könnte, ähnlich wie in der Arktis, die Verstärkung des Strahlungshaushalts sein (Eis-Albedo-Rückkopplung) was den Ozean zusätzlich erwärmt, den Eisrückgang beschleunigt und die Eisneubildung verzögert - ein unumkehrbarer Kreislauf. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für die Wassermassenbildung in der Antarktis und damit auch Auswirkungen auf die globale Tiefenzirkulation der Weltozeane. Ebenso wären hierdurch die Organismen in der Antarktis betroffen, für die das Meereis eine lebenswichtige Grundlage darstellt. Beispielsweise für Krill, der eine Schlüsselrolle im antarktischen Ökosystem spielt und eine der Hauptnahrungsgrundlagen für höhere Arten wie Fische, Robben und Wale ist. Das Meereis ist die Kinderstube des Krill, da hier wichtiges Phytoplankton  wächst und die Larven und Jungtiere geschützt aufwachsen können. Für Pinguine ist das Meereis die Grundlage zur Aufzucht ihrer Küken und setzt eine kompakte Meereisdecke voraus. Eine aktuelle Studie von Fretwell et al., 2023 zeigt, dass der Meereisverlust von bis zu 100 % in der zentralen und östlichen Bellingshausensee westlich der Antarktischen Halbinsel seit dem Frühjahr 2022 dazu geführt hat, dass die Kolonien der Kaiserpinguine in der Region nicht mehr brüten. Von den fünf Brutplätzen in der Region kam es in allen bis auf einen zu einem totalen Brutausfall, nachdem das Meereis vor Beginn der Brutzeit 2022 aufgebrochen war. Dies ist der erste dokumentiert Fall eines weitverbreiteten Brutausfalls bei Kaiserpinguinen, der eindeutig mit einem großflächigen Rückgang der Meereisausdehnung in Verbindung steht.

Kontakt

Prof. Christian Haas (AWI)

Dr. Klaus Grosfeld (AWI)

Dr. Renate Treffeisen (AWI)

Fragen?

Schreiben Sie uns eine 

E-Mail oder nutzen Sie das Kontaktformular.