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Alarmierende Projektionen für die Arktis

Meereisvorhersage Meereismodelle

Noch vor 2050 dürfte der arktische Ozean im Sommer eisfrei sein! Mit diesem Ergebnis hat ein internationales Forscherteam von 21 Instituten weltweit, angeführt von Prof. Dirk Notz von der Universität Hamburg, Aufsehen erregt.

Das Team hat Forschungsergebnisse aus insgesamt 40 verschiedenen Klimamodellen analysiert, die auch für den kommenden sechsten Sachstandbericht des Weltklimarats (IPCC) verwendet werden. Die Simulationen sind unter der Annahme unterschiedlicher Klimaschutzmaßnahmen bis 2100 gerechnet worden. Starker Klimaschutz mit geringen Emissionen entspricht dabei denjenigen Szenarien, die das 1,5°C oder das 2° C - Ziel erreichen können, schwacher Klimaschutz entspricht einem business-as-usual Szenario, das eine globale Erwärmung von 3-5° C zum Ende des Jahrhunderts bedeutet. Ein überraschendes Ergebnis dieser Studie war, dass selbst bei einem ambitionierten Klimaschutz das Meereis der Arktis noch vor 2050 in manchen Jahren im Sommer weitestgehend abschmelzen kann und die Arktis dann als eisfrei (weniger als 1 Million km² Meereis im September) gilt. Einige Modellläufe zeigen sogar eine eisfreie Arktis noch vor 2030. Das wäre eine Veränderung mit weitreichenden Folgen für die Arktis, aber auch für das weltweite Klima. Die Arktis gilt als Frühwarnsystem des globalen Klimawandels und ist durch die Strahlungsrückkopplungen des Meereises mitentscheidend für die Geschwindigkeit der Klimaerwärmung. Durch die Rückkopplungen im Klimasystem haben diese Veränderungen auch große Auswirkungen auf das Klima der Nordhalbkugel, insbesondere auch für Deutschland und Europa.

meereisportal.de hat Dirk Notz zu den Ergebnissen der Studie befragt und um seine Einschätzung für die weitere Entwicklung gebeten:

Herr Notz, wie ist es zu dieser Studie gekommen und was war die Intention dafür?

Dirk Notz: Wir hatten uns vor einigen Jahren mit vielen anderen Meereismodellierer*innen zusammengesetzt und überlegt, wie wir mit unseren Klimamodellen mehr über Meereis lernen können. Dabei herrschte breite Einigkeit, dass koordinierte Simulationen extrem hilfreich wären, bei denen möglichst viele Detailinformationen zum Meereis gespeichert würden. Daraus entstand dann das Sea-Ice Model Intercomparison Project (SIMIP), das jetzt im Rahmen der neusten Modellvergleichsstudie CMIP6 durchgeführt wird. Unsere Studie liefert die ersten Ergebnisse im Rahmen dieses Projektes.

Was ist neu in dieser Studie gegenüber den Ergebnissen der Modellvergleichsstudie (CMIP5) für den letzten IPCC-Report 2013?

Dirk Notz: Wir konnten bei der Analyse der Ergebnisse aufgrund des gemeinschaftlichen Ansatzes eine große Bandbreite an Wissen und Erfahrungen abdecken. Daraus hat sich eine meiner Meinung nach sehr ausgewogene Analyse entwickelt, die zu dem Ergebnis kommt, dass sich der komplette Eisverlust des Arktischen Meereises im Sommer zumindest für einzelne Jahre nicht mehr verhindern lässt. Das hatten wir so in dieser Deutlichkeit vorher nicht zeigen können.

In der Auswertung ihrer Studie wird ein linearer Zusammenhang zwischen der Änderung der kumulativen CO2-Emissionen und dem Rückgang der Meereisfläche für den Zeitraum 1979 – 2015 angenommen. Wie ist diese Beziehung zu verstehen? Steht sie nicht auch im direkten Zusammenhang mit der globalen Erwärmung verursacht durch den CO2-Anstieg?

Dirk Notz: Die Entwicklung des Arktischen Meereises ist in erster Linie direkt vom Zustand des Klimasystems abhängig. Wenn es wärmer wird, schmilzt das Eis – und es gibt in der Tat sogar einen linearen Zusammenhang zwischen der Meereisfläche in der Arktis und der mittleren globalen Temperatur. Über die letzten 40 Jahre ergab sich dabei etwa, dass pro Grad Celsius globaler Erwärmung die Eisfläche im Sommer um etwa 4 Millionen km2 schrumpft. Andererseits hängt aber die globale Erwärmung im Moment nahezu linear von den CO2 Emissionen ab, sodass auch die Meereisfläche linear von den Emissionen abhängt. Hier zeigen Messungen eine Abnahme der Eisfläche um etwa 3 m2 für jede Tonne CO2, die ein Mensch irgendwo auf der Erde freisetzt. Eigentlich schmilzt natürlich jeweils ein entsprechendes Eisvolumen ab, aber dafür haben wir keine hinreichend langen Messreihen, um den Zusammenhang zuverlässig quantifizieren zu können.

Was haben Ihrer Einschätzung nach einzelne eisfreie Sommer in der Arktis bereits vor 2030 für Folgen?

Dirk Notz: Wann die Arktis zum ersten Mal eisfrei wird, können wir nicht genau sagen, weil sich natürliche Schwankungen von einem Jahr zum nächsten dem großskaligen Klimawandel überlagern. Das wahrscheinlichste Zeitfenster liegt dabei irgendwo zwischen 2030 und 2050. Der genaue Zeitpunkt ist dabei allerdings auch gar nicht so entscheidend. Sicher ist, dass mit dem Eisverlust im Sommer die Landschaftsform der „permanenten Packeisdecke“ nicht mehr existieren wird, und durch die Landschaftsform der „saisonalen Packeisdecke“ ersetzt wird. Alle Teile des arktischen Ökosystems, die eine permanente Packeisdecke benötigen, werden sich dann entweder anpassen müssen oder verschwinden – die heutige Form des Ökosystems wird es dann nicht mehr geben.
Neben den möglichen ökologischen Folgen sehe ich auch einschneidende kulturelle Folgen: In unserer Wahrnehmung sehen wir die Arktis ja immer noch als eisige Weite, deren Faszination sich kaum jemand entziehen kann. Nicht umsonst sind Kinder (und nicht nur die!) bei Berichten über die Arktis und unsere Forschung dort immer komplett gefesselt. In Zukunft wird es diese Weite so nicht mehr geben, die Arktis wird zu großen Teilen im Sommer zu einem Meer werden, in dem man mit dem Schiff zum Nordpol fahren kann, um sich dort das Wasser anzuschauen. Die heutige Faszination und Schönheit der Arktis wird zumindest im Sommer zerstört sein.

Kann der projizierte, dramatische Meereisrückgang in der Arktis überhaupt noch durch Klimaschutzmaßnahmen aufgehalten werden oder ist dieser Kipppunkt im Klimasystem bereits überschritten?

Dirk Notz: Für uns Wissenschaftler*innen ist der Rückgang des Meereises eigentlich kein echter Kipppunkt, weil der Eisverlust direkt linear der Erwärmung und den CO2 Emissionen folgt – so lange, bis kein Eis mehr da ist. Den Eisverlust stoppen können wir nur, indem wir die Erwärmung stoppen, und das wiederum kann physikalisch nur gelingen, wenn wir die Netto-CO2 Emissionen auf null reduzieren. Solange wie das nicht passiert, geht der Eisverlust weiter. Unsere Studie zeigt jetzt, dass es aus wissenschaftlicher Sicht kaum noch plausibel erscheint, dass wir die Reduktionen schnell genug schaffen, um eine eisfreie Arktis im Sommer noch zu verhindern. Wir können allerdings nach wie vor verhindern, dass eine solche eisfreie Arktis zum Normalfall wird. Wenn uns das gelingt, können wir zumindest noch einen Teil der unglaublichen Schönheit und Faszination der Arktis auch für zukünftige Generationen erhalten…

Vielen Dank für das Interview!

Kontakt

Prof. Dr. Dirk Notz (Universität Hamburg)

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