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Biomasseproduktion

Das Meereis ist eine natürliche mächtige Barriere zwischen der Atmosphäre und dem Ozean. Als solche trennt es biologische, biochemische und physikalische Prozesse voneinander, die über und unter dem Eis ablaufen. Beispielsweise verringert das Meereis den Lichteinfall ins Meer. Es behindert den Austausch von Gasen und Wärme zwischen Luft und Wasser und es beeinflusst den Eintrag an Süßwasser in den Ozean (Arrigo, 2014). Diese Meereis-Barriere hat zudem einen wesentlichen Einfluss auf die Oberflächenschichtung und Durchmischung des Ozeans.

Die arktische Meereislandschaft verändert sich rasant. Eine zunehmende Lichtdurchlässigkeit würde eine frühere saisonale Primärproduktion einleiten. Diese frühere Wachstumszeit kann von einem Anstieg der Eisalgen- und Phytoplankton-Biomasse begleitet sein, was die Emission von Dimethylsulfid (DMS) und die Bindung von Kohlendioxid (CO2) erhöht. Die Sekundärproduktion in den Schelfgebieten kann ebenfalls zunehmen, obwohl der Verlust von Meereis den Verlust der Meereisfauna, der endemischen Fischarten und der Megafauna verschärft. Der Verlust von Meereis kann mit der Erhöhung der Abgabe von Methan an die Atmosphäre verbunden sein, aber eine höhere Eistemperatur könnte auch die Freigabe von Halogen reduzieren, was zu weniger Ozonabbauereignissen führt. Die Nettoveränderungen im Kohlenstoffkreislauf sind noch sehr ungewiss (Lannuzel et al., 2020).

Die Meereisbedeckung verändert sich im Jahresverlauf. Die Eisfläche beginnt im Herbst zu wachsen, dehnt sich im Winter über weite Teile der Polarregion aus und schrumpft ab dem Frühjahr wieder, wenn die Eischmelze beginnt. Diese Dynamik prägt die biogeochemischen Prozesse und Stoffkreisläufe in der Arktis ganz entscheidend; insbesondere auch das Wachstum der Eisalgen, die die Basis der arktischen Nahrungsnetze sind. Eisalgen sind insbesondere für Zooplankton eine wichtige Futterquelle, da sie einen hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten und anderen essentiellen Fettsäuren aufweisen. Davon profitieren wiederum die höheren trophischen Ebenen (Arrigo, 2014).

Die Vermehrung der Eisalgen beginnt bereits im zeitigen Frühjahr bei wenig Licht. Diese intensive Eisalgenblüte führt dazu, dass ein Großteil des Lichts von den Eisalgen absorbiert wird (Arrigo et al., 2014).

Lichtschwächung durch Schnee aufgrund von Streuung und Absorption ist ungefähr eine Größenordnung größer als die des darunterliegenden Meereises, was wiederum ungefähr eine Größenordnung größer ist als die des Meerwassers. Infolgedessen überträgt schneebedecktes Eis sehr wenig Licht in Tiefen von mehr als 1 m unter der Schneeoberfläche und unterstützt dort nur sehr wenig die mikrobielle Biomassenproduktion. Selbst unter schneefreien Bedingungen kann das Wachstum von im Eis lebenden photoautotrophen Organismen durch die Lichtverfügbarkeit begrenzt werden, insbesondere zu Beginn des Frühlings, wenn die Eissole noch reichlich Nährstoffe enthält. Die Lichtschwächung im Eis wird durch Partikelabsorption weiter verstärkt, insbesondere durch Sedimente in küstennahen Gebieten und pigmenthaltige Mikroalgen, die am unteren Rand des Eises wachsen (Arrigo, 2014)

Das Interesse der Öffentlichkeit, der Politik und der Wirtschaft an der Arktis hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Das liegt vor allem daran, dass die Fläche des Meereises in den letzten Jahrzehnten während des Sommers stark abnimmt. Klimamodelle prognostizieren ein Fortschreiten dieses Meereisrückgangs in den kommenden Jahren und dass die Arktis bereits zur Mitte dieses Jahrhunderts im Sommer weitgehend eisfrei sein wird (d. h. weniger als 1 Million km² Eisfläche besitzt). Experten gehen davon aus, dass der Meereisrückgang zu dramatischen Veränderungen der arktischen Lebensräume führen wird. Darüber hinaus weckt er wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Denn mit dem Schrumpfen der Eisflächen wird die Arktis besser zugänglich für den Schiffsverkehr oder die Gewinnung von Rohstoffen, für die Fischerei oder auch den Tourismus.

Bedeutung von Meereis für die Produktion von Biomasse

Die Primärproduktion mit Hilfe der Fotosynthese ist eine komplexe Folge von Prozessen, die die „Lichtsammlung“, den Transport von Elektronen und die Fixierung von Kohlenstoff beinhaltet, wobei jeder Prozess verschiedenen Empfindlichkeiten gegenüber Umweltbedingungen und den Steuerungsprozessen der Zelle besitzt. Zu den bisher untersuchten Umweltbedingungen gehören die Lichtintensität, Temperatur, Salzgehalt und Nährstoffmangel. Besonders Salzgehalt, Licht und Nährstoffverfügbarkeit sind wichtige Faktoren für das Wachstum von Eisalgen, während die Veränderungen des pH-Gehaltes, der CO2-Konzentration und der UV-Strahlung eher einen geringen Einfluss zu haben scheinen (Arrigo, 2017).

Wie die Landpflanzen benötigen auch Eisalgen und die frei im Wasser schwebenden Mikroalgen (Phytoplankton) Licht, um Fotosynthese betreiben zu können. Licht ist ein Haupttreiber des Algenwachstums in der Meereiszone. In hohen Breiten bestimmt eine starke Saisonalität im Lichtzyklus den Zeitpunkt und die Größe der Eisalgen- und Phytoplanktonblüten. Die einfallende Sonnenstrahlung wird aufgrund der gegenüber von Meerwasser viel höheren Albedo von Meereis und Schnee weitgehend in den Weltraum zurückreflektiert (Arrigo, 2014). Die Albedo ist höher für stark schneebedecktes und dickes Eis und niedriger, wenn Feuchtigkeit im Schnee vorhanden ist, sich an der Oberfläche Schmelztümpel oder offenes Wasser zwischen Eisschollen bildet. Der im Meereis verfügbare Lichtanteil nimmt exponentiell mit der Tiefe ab. Abhängig von den Meereis- und Schneebedingungen dringen weniger als 1 % bis ~20 % des einfallenden Sonnenlichts in den darunterliegenden Ozean ein (Lannuzel et al., 2020). Es besteht kein Zweifel daran, dass die arktische Albedo zwischen 1979 und 2011 aufgrund von Schneeabnahme und dem dünner werdenden Eis sowie längerer Oberflächenschmelze und einer längeren Periode mit offenem Wasser um 4–6 % zurückgegangen ist. Daher hat die Lichtversorgung von Eisalgen und Phytoplankton wahrscheinlich im selben Zeitraum zugenommen, wie Modellsimulationen zeigen (Lannuzel et al., 2020).

Alle diese Faktoren zusammen bestimmen letztlich, wie stark die Menge der Eisalgen und des Phytoplanktons und damit die sogenannte Primärproduktion zunimmt. Die Primärproduktion ist die Lebensgrundlage für alle anderen Organismen im Meer. Verglichen mit anderen Meeresregionen ist die Phytoplankton-Produktion in den Polarregionen relativ gering. Die jährlichen Produktionsraten des Meereises in der Arktis und der Antarktis sind recht ähnlich. In der Arktis betragen sie jährlich 0,001 bis 23 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter. In der Antarktis liegen sie zwischen 0,3 und 38 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter und Jahr (Arrigo, 2017). Damit liegt die Primärproduktion der Meereishabitate bei weniger als 50 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter und Jahr, also in einer Größenordnung der oligotrophen (nährstoffarmen) großen subtropischen Wirbeln (Arrigo, 2017).

Andererseits gibt es in den Polarregionen auch teils extrem hohe Produktionsraten. Die höchsten wurden im Plättcheneis in der Antarktis gemessen. Hier kann die tägliche Produktion Werte von bis zu 1,2 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter erreichen (Arrigo, 2017). Der Grund hierfür ist, dass das Plättcheneis die poröseste Art von Meereis ist, die wir kennen und so einen relativ freien Nährstoffaustausch mit dem darunterliegenden Meerwasser ermöglicht. Es beherbergt dadurch einige der größten mikrobiellen Ansammlungen, die im Meereis gemessen wurden. Sehr produktiv ist auch die Unterseite des Meereises. Das Meereis dort ist aufgrund seiner leichten Erreichbarkeit, der Nähe zu Meerwassernährstoffen und milden Temperatur- und Salzgehaltsgradienten häufig der biologisch produktivste Lebensraum im Meereis. In der kanadischen Arktis liegt der Spitzenwert bei 463 Milligramm pro Quadratmeter und Tag (Arrigo, 2017).

In den eisbedeckten Gebieten finden die Algenblüten sowohl unter dem Eis an der Grenze zwischen Eis und Meerwasser als auch an Rändern von Eisschollen statt. Forscher haben beobachtet, dass die Produktionsrate unmittelbar steigt, wenn sich vermehrt offene Wasserstellen bilden. Diese offenen Wasserstellen (Polynjas, Eisrinnen) bieten eine stärkere und direkte Lichteinstrahlung, welche die Primärproduktion antreibt.

Wie stark die Primärproduktion ist, hängt aber nicht allein von der Lichtintensität ab. Ein wichtiger Faktor sind auch die Nährstoffe im Meerwasser, die die Algen für ihr Wachstum benötigen, wie vor allem Nitrat und Phosphate, aber auch Kieselsäure für Diatomeen. Sowohl im Meereis als auch in der Wassersäule wird angenommen, dass Nährstoffe die Blütenintensität und evtl. deren Ende regulieren. Blüten können auch durch andere Prozesse beendet werden, z. B. durch Virenbefall. Im Vergleich zu Licht bleiben jedoch große Unsicherheiten beim Verständnis der Nährstoffdynamik im Meereis bestehen. Die maßgeblichste Nährstoffquelle im Meereis ist das Meerwasser. Die Nährstoffkonzentrationen im Meereis werden durch die Sole-Zirkulation und den Austausch mit dem darunterliegenden Meerwasser sowie durch biogeochemische Prozesse wie Assimilation und Remineralisierung gesteuert. Die Adsorption an Solekanalwänden und Biofilmprozessen beeinflusst wahrscheinlich die Verfügbarkeit und Mobilität von Meereis-Nährstoffen. Nährstoffe im zugrundeliegenden Meerwasser werden durch Schichtung und Herkunft der Wassermassen (z. B. in der Arktis durch nährstoffreiche pazifische versus nährstoffarme atlantische Wassermassen), Fluss- und Gletscherabflüsse sowie Advektion gesteuert (Lannuzel et al., 2020).

Die Primärproduktion wird weiterhin durch die Meereisbedeckung beeinflusst. Ein erhöhter Schmelzwasser- und Flusseintrag erhöht die Schichtung des Oberflächenwassers, während dünneres Eis mit größerem Anteil an offenem Wasser die Exposition des oberflächennahen Ozeans gegenüber Wind und Wellen erhöht und so die Vermischung fördert. Diese Prozesse haben konkurrierende und unbekannte Auswirkungen auf die Versorgung von Phytoplankton und Eisalgen mit tieferem und nährstoffreicherem Wasser und damit auf die Primärproduktion. Erdsystemmodellsimulationen legen nahe, dass eine zunehmende Schichtung und die Abnahme von Nährstoffen in Zukunft die pelagische Umgebung dominieren werden. Andere Modelle sagen eine Zunahme der atmosphärischen Deposition voraus, die die durch die zunehmende Schichtung verursachte Nährstoffbegrenzung ausgleichen könnte (Lannuzel et al., 2020). Ein weiterer wichtiger Faktor sind die Eigenschaften des Meereises selbst. Änderungen der Nährstoffkonzentrationen im Meereis werden hauptsächlich durch vertikale Prozesse (z. B. Soledynamik und Eis-Ozean-Flüsse) beeinflusst, und die zukünftige Soledynamik hängt von der Eistemperatur und dem Salzgehalt ab. Die Eistemperaturen können aufgrund einer wärmeren Atmosphäre ansteigen, aber auch aufgrund einer geringeren Schneeakkumulation abnehmen. Es wird erwartet, dass der Meereis-Salzgehalt im Herbst und Winter zunimmt - da einjähriges Eis salzhaltiger als mehrjähriges Eis ist. Im Sommer wird hingegen davon ausgegangen, dass der Salzgehalt aufgrund des früheren Einsetzens der Eisschmelze niedriger wird. Wenn die im Meerwasser enthaltenden Nährstoffkonzentrationen unverändert bleiben, würde mehr Salzsole im Winter eine höhere Nährstoffkonzentration im Meereis im Frühjahr bedeuten und möglicherweise die sympagische (im Eis) Produktivität erhöhen. Die durch die Dynamik im Meereis gewonnenen Nährstoffe würden jedoch kompensiert werden, wenn die Nährstoffkonzentrationen im Meerwasser abnehmen (Lannuzel et al., 2020).

Änderungen der diskutierten Licht-, Nährstoff- und Lebensraumbedingungen beeinflussen den Zeitpunkt, die Zusammensetzung und die Häufigkeit der Primärproduzenten und insbesondere den relativen Beitrag von Eisalgen gegenüber Phytoplankton. Änderungen in der Primärproduktion können sich anschließend auf die Sekundärproduktion (mikrobielle und metazoische Verbraucher), höhere trophischer Stufen und die Kohlenstoffbindung im Ozean auswirken.

Arrigo, K.R. (2017): Sea ice as a habitat for primary producers. In: D. N. Thomas (ed.), Sea Ice, 3rd edition, Wiley-Blackwell, Chichester (UK) Hoboken (NJ), pp. 352-369
Lannuzel, D., L. Tedesco & M. van Leeuwe et al. (2020): The future of Arctic sea-ice biogeochemistry and ice-associated ecosystems. Nat. Clim. Chang. 10, pp. 983–992. https://doi.org/10.1038/s41558-020-00940-4