Fische
Im Vergleich zum Südpolarmeer kommen im Arktischen Ozean nur wenige endemische, d. h. nur in bestimmten, räumlich abgegrenzten Umgebungen lebende Arten vor. Das liegt daran, dass die Antarktis durch Meeresströmungen und angrenzende tiefe Meeresgebiete isoliert ist, während die Arktis über die Verbindungen zum Pazifik und Atlantik leichter für Fische zugänglich ist. Es gibt in den arktischen Gewässern eine Vielzahl von Fischarten. Von diesen gibt es nur zwei, die sehr eng und direkt ganzjährig mit dem Meereis leben: der Polardorsch (Boreogadus saida) und der Grönlanddorsch (Arctogadus glacialis). Beide kommen im Arktischen Ozean endemisch vor (Christiansen et al., 2010). Allerdings gilt zweifellos auch für die anderen Fische, dass sie von der Anwesenheit und der Dynamik des Meereises und die verbundenen physikalischen und ökologischen Zusammenhänge beeinflusst werden.
Polardorsch (Boreogadus saida)
Der Polardorsch (Boreogadus saida) ist der am häufigsten in der Arktis auftretende Fisch, der eng mit dem Meereis verbunden ist. Der Polardorsch legt seine Eier im tiefen Winter ab. Die Fischlarven schlüpfen im Frühjahr, wenn die ersten Eisalgenblüten Millionen von Kleinkrebsen anlockt. Viele juvenile (junge) Polardorsche im Alter bis ca. 2 Jahren nutzen die Unterseite des Meereises als Nahrungsquelle und Schutz vor Räubern. Große Populationen finden sich in den Schelfmeeren der Arktis. Allerdings ist der Polardorsch durchaus auch am Meeresboden aktiv, um Planktonorganismen als Nahrung zu suchen. Im Nahrungsnetz ist er damit eine wichtige Verbindung zwischen dem Plankton und höheren trophischen Ebenen wie marinen Säugern (Robben und Wale) und Seevögeln. Dies macht ihn zu einer ökologischen Schlüsselart im Arktischen Ozean. Beispiele für arktische Seevögel, die sich von Polardorschen ernähren, sind Trottellummen und Dreizehenmöwen. Polardorsche treten in der gesamten Arktis in unterschiedlich großen Populationen auf, von kleinen Schwärmen bis zu Schwärmen mit Millionen von Fischen. Der Polardorsch kann sich recht flexibel an Umweltveränderungen anpassen und damit in unterschiedlichen Habitaten leben. Wie wichtig das Habitat Meereis für die Beständigkeit der Polardorschpopulation wirklich ist, ist aber noch nicht vollständig geklärt (David et al., 2016). So wird entlang der arktischen Schelfe oft von unter dem Meereis lebenden Polardorschen im Herbst und Winter berichtet. Darüber hinaus ist bekannt, dass er weite Wege zwischen seinen Sommer-Futtergebieten und den Winter-Laichgebieten unternimmt: er bewegt sich im Herbst nach Süden und kehr im Frühling nach Norden zurück (Vestfals et al., 2019).
Grönlanddorsch (Arctogadus glacialis)
Wie der Polardorsch ist auch der Grönlanddorsch (Arctogadus glacialis) eine eis-assoziierte Fischart. Er lebt nicht zusammenhängend zirkumpolar sondern überwiegend vor der Sibirischen Küste, in der Tschuktschensee, in der kanadischen Arktis und in den Schelfgebieten von Nordrostgrönland. Er kommt selten in der europäischen Arktis vor. Sein Lebensraum sind die Fjorde und Schelfgebiete des Arktischen Ozeans und nicht der tiefere und zentrale Arktischen Ozean (Aschan et al., 2009). Aufgrund der weiten Verbreitung von Boreogadus saida im Arktischen Ozean ist das Auftreten von Arctogadus glacialis immer begleitet vom Auftreten Boreogadus saida, aber nicht umgekehrt. Da die beiden oft nebeneinander in den Fjorden und Schelfgebieten des Arktischen Ozeans leben, teilen sie sich auch die gleichen Nahrungsquellen (Christiansen et al., 2012). Grönlanddorsche sind z. B. Beute von Ringelrobben, Narwalen und Belugawalen.
Die antarktische Fischfauna ist klein in ihrer Anzahl und weniger vielfältig, als man das erwarten könnte, betrachtet man das Alter des antarktischen marinen Ökosystems. Es gibt rund 300 antarktische Fischarten, die in 49 Familien beschrieben werden, was ungefähr nur 1,3 % der weltweiten Fischarten ausmacht (Barrera-Oro, 2002). Viele der Fischarten im Südpolarmeer kommen ausschließlich in dieser Region vor (endemische Arten). Besonders geprägt wird die Fischfauna des Südpolarmeers durch Nototheniodei (Antarktisfische), einer Unterordnung der Barschartigen (Perciformes), auch Barschfische genannt (Beers und Jayasundara, 2015). Die Antarktisfische repräsentieren in den höchsten Breitengraden 77 % der Artenvielfalt, 92 % der Häufigkeit und stellen 91 % der Biomasse dar (Eastman, 2005).
Zu den Nototheniodei zählen mehrere Familien wie z. B. die Antarktisdorsche (Nototheniidae), die Antarktisraubfische (Harpagiferidae), die Artedidraconidae, die Antarktisdrachenfische (Bathydracoidae), die Krokodileisfische (Channichthyidae) und die Eisfische (Bovichtidae). Der Antarktische Silberfisch (Pleuragramma antarctica) ist ein Freiwasserzonenfisch der antarktischen Kontinentalschelfe, wo er eine zentrale Schlüsselrolle im Nahrungsnetz spielt und die Trophiestufen miteinander verbindet. Die erwachsenen Tiere sind in den Küstengebieten der Antarktis weitverbreitet und leben sowohl im offenen Wasser wie auch im Packeis und werden für gewöhnlich in einer Tiefe bis zu 900 m gefunden. Im Ross- und Weddellmeer trägt er bis über 90 % zur lokalen Fischgemeinschaft bei, sowohl zahlenmäßig wie auch bezogen auf die Biomasse. (Vacchi et al, 2012) Pleuragramma antarctica legt seine Eier im Vorfrühling in einem einzigartigen Lebensraum ab: dem Plättcheneis der antarktischen Festeisgebiete. Darin reifen die Eier heran, gut geschützt vor Fressfeinden. Die Larven schlüpfen im Frühjahr, wenn ausgeprägte Eisalgenblüten auftreten und finden so optimale Nahrungsquellen.
Anpassungen der Polarfische an die Umweltbedingungen der Polarmeere
Der arktische Polardorsch und der Antarktische Silberfisch nehmen als dominante Fischarten auf den arktischen und antarktischen Schelfen eine ökologische Schlüsselstellung ein. Sie stellen beide einen wesentlichen Anteil der Nahrung von Meeresvögeln, Robben und Walen in den Polarmeeren. Für ihr Leben in den Polarmeeren haben sie wichtige Anpassungen an die Herausforderungen der Eismeere entwickelt (Flores, 2017).
Ein wichtiger Punkt ist die Umgebungstemperatur: je kälter es ist, desto langsamer laufen die Stoffwechselvorgänge ab, d. h. Fische ohne Anpassung wachsen z. B. langsamer. Der Arktische Polardorsch und der Antarktische Silberfisch nutzen diese, durch die Randbedingungen vorgegebene Verlangsamung der Stoffwechselprozesse, jedoch zu ihrem Vorteil. Die Temperatur hat Auswirkungen auf die Körperflüssigkeiten, die viskoser werden, was die Versorgung des Organismus mit Sauerstoff und Nährstoffen erschwert. Beide Fische haben daher wenige rote Blutkörperchen, um das Blut ausreichend dünnflüssig zu halten. Dies ist ein Vorteil, da sich die Sauerstofflöslichkeit des Blutserums bei niedrigen Körpertemperaturen erhöht (Flores, 2017).
Die Körperflüssigkeiten der Polarfische haben einen etwas höheren Gefrierpunkt als Meerwasser. Dadurch können sich in ihren Zellen Eiskristalle bilden. Diese stellen eine Lebensbedrohung für sie dar. Daher bilden beide Arten Gefrierschutzglykoproteine (engl. Antifreeze glycoprotein, AFGP), die aus wendeltreppenartigen Eisweiß-Zucker-Verbindungen bestehen und sich an die Eiskristalle anlagern können, wodurch der weitere Kristallisationsprozess gehemmt wird. Weiterhin haben sowohl der Arktische Polardorsch wie auch der Antarktische Silberfisch ihren Lebenszyklus perfekt auf die zeitliche und räumliche Dynamik des Meereises abgestimmt (Flores, 2017).
Aschan, M., O. V. Karamushko & I. Byrkjedal et al. (2009): Records of the gadoid fish Arctogadus glacialis (Peters, 1874) in the European Arctic. Polar Biol 32, pp. 963–970. https://doi.org/10.1007/s00300-009-0595-4
Barrera-Oro, E. (2002): The role of fish in the Antarctic marine food web: Differences between inshore and offshore waters in the southern Scotia Arc and west Antarctic Peninsula. Antarctic Science, 14(4), pp. 293-309. doi:10.1017/S0954102002000111
Beers, J. M. & N. Jayasundara (2015): Antarctic notothenioid fish: what are the future consequences of ‘losses’ and ‘gains’ acquired during long-term evolution at cold and stable temperatures? Journal of Experimental Biology, 218, pp. 1834-1845; doi: 10.1242/jeb.116129
Beers, J.M. & N. Jayasundara (2015): The Journal of Experimental Biology, p. 218, 1834-1845, doi:10.1242/jeb.116129
Christiansen, J.S., H. Hop & E. M. Nilssen et al. (2012): Trophic ecology of sympatric Arctic gadoids, Arctogadus glacialis (Peters, 1872) and Boreogadus saida (Lepechin, 1774), in NE Greenland. Polar Biol 35, pp. 1247–1257. https://doi.org/10.1007/s00300-012-1170-y
David, C., B. Lange & T. Krumpen et al. (2016): Under-ice distribution of polar cod Boreogadus saida in the central Arctic Ocean and their association with sea-ice habitat properties. Polar Biol 39, pp. 981–994 . https://doi.org/10.1007/s00300-015-1774-0
Eastman, J.T. (2005): The nature of the diversity of Antarctic fishes. Polar Biol 28, pp. 93–107. https://doi.org/10.1007/s00300-004-0667-4
Flores, H. (2017): Der arktische Polardorsch und der Antarktische Silberfisch: Erfolgsgeschichten im Eismeer. In: Hempel G., K. Bischof & W. Hagen (eds.), Faszination Meeresforschung. Springer, Berlin, Heidelberg, pp. 159-162
Vacchi, M., A. L. DeVries, & C. W. Evans et al. (2012): A nursery area for the Antarctic silverfish Pleuragramma antarcticum at Terra Nova Bay (Ross Sea): first estimate of distribution and abundance of eggs and larvae under the seasonal sea-ice. Polar Biol 35, pp. 1573–1585. https://doi.org/10.1007/s00300-012-1199-y
Vestfals, C.D., F. J. Mueter & J. T. Duffy-Anderson et al. (2019): Spatio-temporal distribution of polar cod (Boreogadus saida) and saffron cod (Eleginus gracilis) early life stages in the Pacific Arctic. Polar Biol 42, pp. 969–990. doi.org/10.1007/s00300-019-02494-4