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Vom Prototypen zu einmaligen Datensätzen

Messungen unter dem Eis Arktis

Während der aktuellen Polarsternexpedition PS101 in die zentrale Arktis dreht sich der Großteil der Messungen und Beobachtungen um den Ozeanboden, der sich in 1.000 bis 4.000 Meter Tiefe befindet.

Zeitgleich findet aber auch ein Messprogramm auf dem und rund um das Meereis statt. Über die Arbeiten an Bord und deren Ziele sprach das meereisportal.de mit den Meereisphysikern Dr. Thomas Krumpen und Dr. Christian Katlein. 

Wie kommt es, dass eine Expedition mit Schwerpunkt Tiefsee ein solch intensives Meereisprogramm an Bord hat? 
Dr. Thomas Krumpen: Die Vielzahl der Messungen hier an Bord setzen eine besonders gute Kenntnis des Eises und seines Verhaltens voraus, damit meine ich z.B. die Konzentration, Drift oder auch Deformation des Meereises. Eine meiner Aufgaben ist es, diese Informationen so schnell und aktuell wie möglich zur Verfügung zu stellen. Dafür haben wir ein System entwickelt, mit dem sich die verschiedenen Datentypen direkt visualisieren lassen. Zumeist sind es Satellitendaten, die so allen Wissenschaftlern und der Schiffsführung zur Verfügung stehen, um besser Stationen planen und Entscheidungen treffen zu können. 

Können Sie diese Entscheidungen an einem Beispiel verdeutlichen? 
Dr. Christian Katlein: Ja, im Endeffekt fahren wir derzeit mit Polarstern über ein riesiges Gebirge in 3.000 Metern Tiefe, in dem wir mit unseren Instrumenten eine Fläche so groß wie ein Fußballfeld am Meeresboden treffen wollen. Das Schiff kann sich aber durch das Meereis nur sehr begrenzt, wenn überhaupt, selbst bewegen. Denn Polarstern wird vor allem durch das Meereis über das Gebirge getrieben. Wenn das Fieren des Geräts z.B. drei Stunden dauert und die Messungen fünf Stunden lang dauern sollen, ist eine sehr präzise Positionsvorhersage der nächsten acht Stunden notwendig. In diesem Fall ist es nur sehr bedingt hilfreich, die großskalige Drift des Meereises in der Arktis zu kennen. Wir brauchen eine genaue Einschätzung der Situation hier vor Ort, die sich innerhalb von Stunden durch den Wind und die Gezeiten verändern kann. Sonst sind solch präzise Manöver nicht möglich. 

Wie sehen Ihre Arbeiten an Bord konkret aus? 
Dr. Thomas Krumpen: Wir testen gerade den Prototypen des neuen Systems und optimieren dabei die Einbindung unterschiedlicher Daten, den Datentransfer und die Darstellung im Computersystem an Bord. Das Meiste sind PC Arbeiten, die unser sogenanntes Eis-GIS (Geo-Informations-System) verbessern und weiter automatisieren sollen. Gleichzeitig unterstützen wir alle Nutzer des Systems bei der Interpretation der Daten und stellen sicher, dass das System bestmöglich eingesetzt wird. Durch die Verknüpfung von Eiskonzentrations- und Radardaten von Satelliten mit dem Schiffsradar gelingt es, in Gegenden mit 100 % Eiskonzentration Regionen dünnen oder schwachen Eises zu finden, durch die Polarstern wesentlich besser voran kommt. So gewinnt man im Laufe einer Expedition viele Tage wertvoller Schiffszeit. Dr. Christian Katlein: Ein wesentliches Element des Systems ist ein Model, das die Drift des Meereises über die nächsten Stunden vorhersagt. Diese Vorhersage ist derzeit noch in der Entwicklung und wir fertigen sie direkt vor Ort an. Unsere Vorhersage für die Drift basiert auf aktuellen Wettervorhersagen, die wir an Bord erhalten, aber auch auf den Beobachtungen von autonomen Systemen (Bojen), die wir in der Umgebung von Polarstern ausgebracht haben. All das ist sehr arbeitsintensiv, vor allem weil das Schiff 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche Messungen durchführt und weitere Aktionen planen können muss. 

Das klingt sehr nach Service, aber was lernen Sie selbst aus diesen Arbeiten, was ist Ihr Ziel? 
Dr. Thomas Krumpen: In der Vergangenheit haben wir sehr viel Zeit in solche Beobachtungen gesteckt, um die grundlegenden Prinzipien selbst besser verstehen zu können. Das war (und ist teilweise immer noch) sehr viel Handarbeit. Das neue System ist nun deutlich stärker automatisiert und wird in Zukunft dafür sorgen, dass diese Informationen auch zur Verfügung stehen wenn kein explizites Meereisprogramm an Bord ist.

Dr. Christian Katlein: Wir haben hier die Gelegenheit, die verwendeten Produkte und auch die erzielten Vorhersagen direkt vor Ort zu validieren und zu beurteilen. Parallel zur Vorhersage dokumentieren wir natürlich auch die wirklichen Bedingungen. So erzielen wir einen Mehrwert für künftige Projekte und Verbesserungen. Wir nutzen das System zum ersten Mal in seiner echten Umgebung – mitten im Meereis kurz vor dem Nordpol. 

Dazu gibt es auch viele Eisstationen, sprich Arbeiten direkt auf dem Eis. Was tun Sie da? 
Dr. Christian Katlein: Der Hauptteil sind direkte Untersuchungen des Meereises mit unserem neuem Tauchroboter (ROV). Er ermöglicht es uns, die Eigenschaften des Meereises und der räumlichen Variabilität seiner Eigenschaften direkt zu untersuchen, ohne dass wir selbst ins kalte Wasser steigen müssen. Obwohl das sicherlich auch sehr spannend wäre. Es gab natürlich schon verschiedene Einsätze von Tauchrobotern (ROV) unter Meereis. Neu ist vor allem, dass wir uns nicht nur auf die physikalischen Eigenschaften beschränken sondern auch umfangreiche biologische, und geochemische Eigenschaften messen. Dadurch lernen wir mehr über das arktische Klima- und Ökosystem und darüber, wie sich diese Systeme aufeinander auswirken.

Dr. Thomas Krumpen: Parallel zu den Messungen mit dem ROV erfassen wir auf den Schollen z.B. auch die Eis- und Schneedicke. Diese Messungen unterstützen die Ergebnisse vom ROV und tragen gleichzeitig zu unseren langjährigen Eisdickenmessungen in der Transpolardrift bei. Obwohl wir nur ein kleines Team von vier Personen sind, stellen wir gerade neue „Rekordzeiten“ in Auf- und Abbau, Vorbereitung und Planung von Eisstationen auf. Das macht besonders Spaß, aber dabei kommt uns natürlich die langjährige Erfahrung aller Beteiligten zu Gute. Letzten Samstag haben wir eine komplette Eisstation durchführen können, obwohl wir nur fünf Stunden Zeit hatten, normal sind eher acht bis zehn Stunden. Es geht aber nicht nur um Geschwindigkeit, wir legen auch besonderen Wert darauf, Arbeitsweisen auf dem Meereis bei schlechten Sichtverhältnissen oder auch Dunkelheit zu verbessern, was zukünftigen Expeditionen zu Gute kommen wird.

Dr. Christian Katlein: Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist das Ausbringen von Bojen. Sie setzen unsere Messungen fort, auch wenn wir schon längst wieder in Bremerhaven im warmen Büro sitzen. Die Bojen senden ihre Daten (hoffentlich) über viele Monate, vor allem auch durch den gesamten Winter per Satellit nach Hause und speisen sie gleichzeitig in internationale Messnetzwerke ein. So tragen sie z.B. zu täglichen Wettervorhersagen bei. Einige Bojen messen zusätzlich auch biologische Parameter, da betreiben wir aktuell viele neue Entwicklungen. 

Offenbar gibt es jede Menge neuer technologischer Entwicklungen in der Meereisforschung: Wie bringt Sie (und uns alle) diese Arbeit insgesamt weiter? 
Dr. Christian Katlein: Ja, das ist richtig, die Verstärkung der interdisziplinären Untersuchung bildet aktuell einen Schwerpunkt, der besonders von den technischen Entwicklungen profitiert. Konkret gibt uns das Helmholtz-Infrastrukturprogramm FRAM die Möglichkeit diese Wünsche – und Träume – zu realisieren und so entsprechend die Entwicklung von Hardware (das ROV, unsere Bojen) und Software in Kooperation mit verschiedenen Firmen und anderen Gruppen im Institut voran zu bringen. Da macht es Spaß, an vorderster Front dabei zu sein. Mit dem ROV haben wir sicherlich die weltweit führende Plattform für Meereisarbeiten. Das wird unsere Basis für Beobachtungen in den Meereisgebieten in den kommenden Jahren stark verbessern. Dr. Thomas Krumpen: Die beschriebenen Arbeiten führen direkt zu einer Entlastung in Bezug auf Support für andere Wissenschaftszweige. Die Automatisierung wird uns die Arbeit an Bord in Zukunft nachhaltig vereinfachen. Das Eis-GIS wird auch dazu beitragen, die höchst wertvolle Schiffzeit besser nutzen zu können, denn immer noch verbrauchen wir sehr viel Zeit, um im Eis von A nach B zu kommen und optimale Positionen für Stationen zu finden. Dr. Christian Katlein & Dr. Thomas Krumpen: Haben wir die Gelegenheit in dem Blog auch unsere Freunde und Familien daheim zu grüßen? Dann würden wir es hiermit gerne tun :-) 

Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen weiterhin eine gute und erfolgreiche Reise.

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Die Fahrtroute des Forschungseisbrechers FS Polarstern und die Position am 4. Oktober 2010 in der zentralen Arktis.