- Arktis: Das September-Minimum der Meereisausdehnung betrug in diesem Jahr 4,74 Millionen Quadratkilometer, der 14-kleinste Wert seit Beginn der Satelliten-Meereismessungen
- Polarstern-Expedition CONTRASTS: Erste Ergebnisse unterstreichen die enorme Bedeutung lokaler Wetterereignisse für den Verlauf der Meereisschmelze im Sommer
- Antarktis: Meereisausdehnung erreicht ein Wintermaximum von 18,06 Millionen Quadratkilometern
Arktis: Das September-Meereisminimum fällt größer aus als erwartet
Das Klimasystem der Erde ist chaotisch. Viele verschiedene Faktoren und Prozesse wirken gleichzeitig aufeinander ein. Sie verstärken sich, heben sich gegenseitig auf oder kehren sich um, je nachdem, welche Einflüsse oder Kräfte gerade überwiegen. Fachleute bezeichnen die Gesamtheit der möglichen Entwicklungen als “natürliche Variabilität des Systems“. Man kann allerdings auch von natürlichen Schwankungen sprechen. Beide Bezeichnungen sind richtig.
Die Verständlichkeit dieser Begriffe ist wichtig, weil natürliche Schwankungen im Klimasystem der Arktis in den zurückliegenden Monaten maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Meereisausdehnung zum Ende des Sommers in diesem Jahr nicht so gering ausgefallen ist, wie auch Expert:innen des Meereisportals noch im März oder April vermutet hätten. Die kleinste Meereisausdehnung dieses Jahres dokumentierten die Satelliten, deren Daten das Meereisportal nutzt, am 9. September 2025. Sie betrug 4,74 Millionen Quadratkilometer und ist laut unserer Statistik das bislang 14-kleinste Septemberminimum seit Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1979 (Abbildung 1). Der US-amerikanische Meereisbeobachtungsdienst NSIDC vermeldete das September-Meereisminimum für den 10. September 2025 mit einer Restausdehnung von 4,60 Millionen Quadratkilometern.
Abbildung 1: Das diesjährige Minimum der Meereisausdehnung wurde am 9. September gemessen. An diesem Tag betrug die Meereisausdehnung 4,74 Millionen Quadratkilometer. Wie sich das Packeis an diesem Tag auf dem Arktischen Ozean verteilte, zeigt diese Darstellung der Eiskonzentration. Die grüne und gelbe Linie markieren die Eisrand-Kanten im Langzeitmittel (grün) sowie im Negativrekordjahr 2012 (gelb).
Veränderte Eisdriftmuster erklären den überraschenden Verlauf der Meereisentwicklung
Um zu verstehen, warum die Sommerschmelze des arktischen Meereises in diesem Jahr moderat ausgefallen ist, müssen wir unseren Fokus auf die großen Eisbewegungen im Arktischen Ozean richten und bis in das Jahr 2022 zurückschauen.
“Unsere Eisdriftdaten zeigen im Zeitraum von 2022 bis 2024 einen ungewöhnlich stark ausgeprägten Beaufort-Wirbel, der insbesondere mehrjähriges Meereis im Uhrzeigersinn aus der kanadischen Arktis und über den Nordpol Richtung Framstraße transportierte“, erläutert AWI-Meereisexperte Dr. Thomas Krumpen. Zur gleichen Zeit blieb die als Transpolardrift bekannte Meereiswanderung aus den russischen Randmeeren Richtung Framstraße aus. “Wind und Strömungen haben das in der Laptewsee gebildete Meereis über zwei Jahre lang im östlichen Arktischen Ozean festgehalten, sodass es dort die Sommer überdauern und insgesamt dicker werden konnte”, sagt Thomas Krumpen (Abbildung 2).
Gegen Ende des Jahres 2024 kehrten sich die außergewöhnlichen Wind- und Eisdriftverhältnisse wieder um. Der Beaufort-Wirbel schwächte sich deutlich ab, während starke ablandige Winde über der Laptewsee die Transpolardrift reaktivierten. “Die Eisdrift schaltet gewissermaßen zurück in ihren Normalmodus“, erklärt Thomas Krumpen. Infolgedessen trieb das dicke, mehrjährige Packeis, welches sich vor der Laptewsee angesammelt hatte, in die zentrale Arktis. Von dort aus wanderte ein Teil des Meereises vor die Nordküste Grönlands und Kanadas und wird dort vermutlich weiter anwachsen. Der Rest bewegte sich Richtung Framstraße und wird dort in den Nordatlantik exportiert.
Abbildung 2: In den zurückliegenden drei Jahren prägten zwei unterschiedliche Phasen die Meereiswanderung in der zentralen Arktis. Die linke Abbildung der Drift-Geschwindigkeitsabweichungen zeigt einen deutlich ausgeprägten Beaufort-Wirbel (linke Pfeile), der Packeis im Zeitraum August 2023 bis Juli 2024 aus der kanadischen Arktis Richtung Framstraße transportiert. Das Meereis in der Laptewsee bewegte sich derweil kaum von der Stelle (rechte Pfeile). In den anschließenden zwölf Monaten kam die Transpolardrift wieder in Schwung (rechte Abbildung, rechter Pfeil), während sich der Beaufort-Wirbel abschwächte (rechte Abbildung, linker Pfeil). Grafik: Thomas Krumpen, Alfred-Wegener-Institut
Abbildung 3: Der arktische Sommer 2025 war geprägt von geringen Eisdriftgeschwindigkeiten und vergleichsweise moderaten Lufttemperaturen. Links: Darstellung der Geschwindigkeitsabweichungen (Farbkodierung: rot = Zunahme, blau = Abnahme) sowie der mittleren Meereisdrift (Mittelwert der Driftgeschwindigkeit: Vektorpfeillänge) auf dem Arktischen Ozean für Juni-August 2025 im Vergleich zum Langzeitmittel 2010 bis 2025. Rechts: Die gemittelten Lufttemperaturabweichungen für die Sommermonate 2025. Grafiken: Thomas Krumpen, Alfred-Wegener-Institut, meereisportal.de
“Im Grunde beobachten wir seit Ende des Jahres 2024 eine große Umverteilung von vergleichsweise dickem, mehrjährigen Packeis auf dem Arktischen Ozean, die nur möglich wurde, weil der Beaufort-Wirbel zuvor im Zuge einer natürlichen Schwankung so deutlich ausgeprägt war. Eine ähnliche Entwicklung gab es Anfang der 1990er-Jahre schon einmal und wir untersuchen gerade die atmosphärischen Ursachen dieses ungewöhnlichen Drift-Musters“, erklärt Thomas Krumpen.
Drei Gründe für ein Ausbleiben des projizierten Rekordminimums
Die Umverteilung des alten, dicken Eises aus der Laptewsee hat maßgeblich zum Ausbleiben des erwarteten Meereis-Rekordminimums beigetragen. Andere Faktoren spielten jedoch auch eine Rolle: so zum Beispiel die Winde über dem Arktischen Ozean. Sie wehten im Sommer dieses Jahres vergleichsweise schwach und aus den falschen Richtungen, um große Mengen Packeis in die wärmeren Randbereiche des Nordpolarmeeres zu schieben, wo diese dann schnell geschmolzen wären. Außerdem fielen auch die Lufttemperaturen in der zentralen Arktis bis Ende Juli vergleichsweise moderat aus. Das heißt, es schmolz bis dahin deutlich weniger Meereis als Thomas Krumpen und Kolleg:innen erwartet hatten.
Wechselnde Eisdrift-Muster in der zentralen Arktis sowie eine sommerliche Meereisausdehnung fernab des Rekordminimums passen zu den Ergebnissen einer neuen Modellierungsstudie, die vor Kurzem in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters erschienen ist. Britische Forschende zeigen darin, dass der verlangsamte Rückgang des arktischen Meereises in den zurückliegenden 20 Jahren vermutlich auf natürliche Schwankungen innerhalb des Klimasystems zurückgeführt werden kann. Deren stabilisierende Wirkung könnte noch weitere fünf bis zehn Jahre anhalten, so die Forschenden. Gleichzeitig macht sie jedoch einen überdurchschnittlich schnellen Rückgang des Meereises in den kommenden Jahren wahrscheinlicher.
Abbildung 4: Differenz der mittleren Eiskantenposition im September 2025 im Vergleich zum Langzeitmittel 2003-2014. Blau gekennzeichnet sind Meeresgebiete, in denen im September 2025 mehr arktisches Meereis existierte als im Vergleichszeitraum. Rot markierte Regionen hingegen wiesen weniger Meereis auf.
CONTRASTS-Expedition: Die vielen Facetten der Schmelzsaison
Welchen Einfluss die Meereisdicke und die geografische Lage des arktischen Packeises auf seine Überlebenschancen im Sommer haben, zeigen die ersten Ergebnisse der diesjährigen CONTRASTS-Sommerexpedition des Forschungseisbrechers Polarstern. Länger als jemals zuvor hatten die beteiligten Wissenschaftler:innen drei unterschiedliche Eisschollen in der nördlichen Framstraße mit Messgeräten ausgestattet und ihre Schmelze sowie alle wichtigen Umweltparameter dokumentiert, sowohl über dem Eis als auch darunter.
“Unsere Daten zeigen auf eindrückliche Weise, dass die Schmelzsaison kein linearer Prozess ist, wie oftmals angenommen wird. Stattdessen wird der Verlauf stark von einzelnen Wetterereignissen beeinflusst“, sagt Dr. Marcel Nicolaus, Fahrtleiter der Expedition CONTRASTS und AWI-Meereisphysiker. “Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob Niederschlag als Regen auf die Meereisoberfläche fällt und innerhalb eines Tages viel Eis schmilzt oder ob der Niederschlag als Schnee auf das Eis rieselt und dessen Oberfläche weißer und im nächsten Schritt dann automatisch kälter wird“, erläutert der Wissenschaftler.
Regen und feuchtwarme Luft dokumentierten die Forschenden vor allem im östlichen Teil der nördlichen Framstraße – einem Meeresgebiet, das unmittelbar durch den Einstrom atlantischer Luft- und Wassermassen geprägt wird (Abbildung 6). Marcel Nicolaus: “An einem Augusttag hatten wir in 300 Metern Höhe eine Lufttemperatur von 13 Grad Celsius. Das Wärmesignal stammte vermutlich von der nordeuropäischen Hitzewelle. Allerdings ist es nur in der Höhe weit in die Arktis vorgedrungen und nicht an der Meeresoberfläche, wo es mit dem Eis hätte in Kontakt kommen können.”
Das Packeis im Westen hingegen blieb von den Wärmeeinflüssen des Nordatlantiks verschont und überstand die Schmelzsaison auch umfänglicher (Abbildung 7). Als dann Mitte September der erste Schnee auf die Eisreste fiel, kühlte sich die Meeres- und Eisoberfläche überraschend schnell ab. “Innerhalb einer Woche waren alle offenen Wasserstellen von jungem Meereis überzogen. Der Sommer hat sich demzufolge blitzschnell verabschiedet“, berichtet Marcel Nicolaus am 18. September von Bord des Forschungseisbrechers Polarstern. Dort leitet er die Meereismessungen im Rahmen der Anschlussexpedition an CONTRASTS.
Abbildung 6: Aufnahme der Über-Eis-Kamera an der Eisstation 1 im atlantischen Sektor der nördlichen Framstraße. Dunst und Nebel sind Anzeichen für feuchtwarme Luft. Die Schneedecke auf dem Meereis ist bereits geschmolzen, erste Schmelztümpel sind entstanden. Die Aufnahme entstand am 12. Juli 2025. Foto: panomax/Alfred-Wegener-Institut
Abbildung 7: Aufnahme der Über-Eis-Kamera an der Eisstation 3 im westlichen Sektor der nördlichen Framstraße. Ein klarer Himmel signalisiert trockene Luft, die Schneedecke auf dem Meereis ist noch nicht geschmolzen. Die Aufnahme entstand am 28. August 2025. Foto: panomax/Alfred-Wegener-Institut
Die Zeit an Bord nutzt er auch, um die Meereis-Messdaten aus der CONTRASTS-Expedition auszuwerten. “Ich habe den Eindruck, dass die Meereisschmelze am Anfang stark von der Oberfläche und damit von den Lufttemperaturen und der Sonneneinstrahlung getrieben wurde. Der Ozean spielte erst eine Rolle, nachdem die Eiskonzentration abgenommen hatte und die offenen Wasserstellen groß genug waren, um Sonnenstrahlung zu absorbieren. In diesem Moment hat der Ozean angefangen, das Eis an den Schollenkanten wegzufressen. Dieser Prozess war im Osten viel stärker als im Westen, wo wir im Laufe unserer Expedition immer eine relativ dicke und geschlossene Eisdecke hatten, die dem Ozean keine Chance ließ. Es ist für das Ausmaß der Sommerschmelze demzufolge ganz entscheidend, ob das Meer noch von einer dünnen, geschlossenen Eisschicht bedeckt wird, welche die einfallende Strahlungsenergie reflektiert, oder ob es offene Wasserstellen gibt, die diese Energie absorbieren“, erläutert der Meereisphysiker.
Video 1: Ein Hightlight der CONTRASTS-Expedition sind die Langzeitaufnahmen der Meereisschmelze, die Kameras sowohl an der Meereisoberfläche als auch an der Eisunterseite gemacht haben. Sie verdeutlichen das Zusammenspiel der einzelnen Prozesse auf eindrückliche Weise. Dieses Zeitraffervideo zeigt das Schmelzen an der Unterseite von mehrjährigem, dicken Meereis, das ursprünglich aus der Laptewsee stammt (Scholle 2) Video: panomax/Alfred-Wegener-Institut
Video 2: Diese Zeitrafferaufnahme zeigt dieselbe Scholle 2, diesmal jedoch in der Draufsicht. Parallele Videoaufnahmen von der Eisober- und -unterseite über so lange Zeiträume und von insgesamt drei unterschiedlichen Eisschollen hat es bislang noch nicht gegeben. Video: panomax/Alfred-Wegener-Institut
Die Winter-Meereisausdehnung rückt in den Fokus
Die Bandbreite der natürlichen Schwankungen im Klimasystem der Arktis sowie der verlangsamte Meereisrückgang im Sommer stellen die AWI-Meereisphysiker:innen vor eine neue Frage: Was können wir aus den unterschiedlichen Verläufen von Winter- und Sommerzeitserien über die Rückkopplungen von Meereis und dem Klimawandel lernen?
“Während der Meereisrückgang gemessen an den Sommerdaten seit etwa 15 Jahren stagniert beziehungsweise die Ausdehnung sogar leicht zunimmt, nimmt die Winterausdehnung seit Jahrzehnten weiter ab“, sagt AWI-Meereisphysikerin Dr. Luisa von Albedyll. “Diese Abnahme im Winter ist jedoch vergleichsweise gering und es fehlen starke Ausreißer, sogenannte Phasen mit drastischen Eisverlusten, die die Entwicklung im Sommer dominieren.“ (Abbildung 8)
Diese Extremereignisse (englisch: rapid ice loss events) treten auf, wenn die natürliche Variabilität in dieselbe Richtung wirkt wie der klimabedingte Abwärtstrend in der Meereisausdehnung. “Unter diesen Voraussetzungen können ungewöhnliche atmosphärische oder ozeanische Zirkulationsmuster zur entscheidenden Kraft werden und besonders viel Meereis schmelzen lassen, wie zum Beispiel geschehen im Zeitraum von 2007 bis 2012. Die Zirkulationsmuster wiederum unterliegen den großen natürlichen Schwankungen des Klimasystems“, führt Luisa von Albedyll fort.
Eine kürzlich erschienene Modellierungsstudie zeigt, dass solche Extremereignisse jedoch auch im Winter wahrscheinlicher werden, wenn das Eisvolumen weiter abnimmt. Denn Eisvolumen und Eisdicke sind entscheidende Schlüssel, wenn es darum geht, zu verstehen, wie schnell das Meereis auf externe Einflüsse reagiert.
Abbildung 8: Die Zeitreihen des winterlichen Maximums und des sommerlichen Minimums der Meereisausdehnung in der Arktis im Vergleich: Über den langen Zeitraum von 1979 bis 2025 gehen beide zurück, mit einem stärkeren Rückgang im Sommer. Betrachtet man jedoch nur die zurückliegenden 15 Jahre (2011–2025), kehrt sich das Bild um: leichter Anstieg im Sommer, leichter Rückgang im Winter. Daten: Uni Bremen/AMSR2
Antarktis: Meereisausdehnung erreicht ein Wintermaximum von 18,06 Millionen Quadratkilometern
Während die arktische Meereisausdehnung in der ersten September-Hälfte ihr Sommerminimum durchschritt, erreichte die Winterausdehnung des antarktischen Meereises zur Monatsmitte ihr Maximum. Dieses fiel unseren Daten zufolge auf den 18. September, betrug 18,06 Millionen Quadratkilometer und ordnet sich auf Platz drei der Negativ-Rekordliste ein. Das Monatsmittel der Meereisausdehnung in der Antarktis beläuft sich auf 17,84 Millionen Quadratkilometer. Damit liegt es zwar deutlich über dem Septembermittel aus dem Vorjahr, aber immer noch mehr als 500.000 Quadratkilometer unterhalb der Trendlinie (Abbildung 9 & 10).
Mehr Meereis als im September 2023 und 2024 gab es vor allem im östlichen Weddellmeer und östlich angrenzenden Meeresregionen sowie im Gebiet des Rossmeeres. Weniger Meereis als im Vorjahr dokumentierten die Satelliten vor der Küste der Ostantarktis sowie im Sektor der Bellingshausen- und Amundsensee (Abbildung 11).
Abbildung 10: Der aktuelle Jahresgang der Meereisausdehnung in der Antarktis (blaue Linie) im Vergleich. Der türkis-gefärbte Bereich zeigt die Spannbreite der Minimum-Maximum-Werte aus dem Zeitraum 1981-2010. Die blaue Kurve für das Jahr 2025 verlief den gesamten September hindurch im unteren Drittel des türkisfarbenen Bereichs. Das heißt, die Meereisausdehnung ist zwar weiterhin gering, liegt jedoch näher an alten Durchschnittswerten als in den Vorjahren 2023 und 2024. Die Darstellung ist ein Screenshot aus dem interaktiven Jahresgang-Tool des Meereisportals, erzeugt am 29. September 2025.
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Autorin
Sina Löschke (Science Writer)
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