- Abwarten in der Arktis: Im Juni lag die Meereisentwicklung auf demselben Kurs wie im Negativrekordjahr 2012. Wie es weitergeht, entscheidet sich in den kommenden Wochen.
- Verzögerte Neueisbildung in der Antarktis: Ungewöhnlich warme Lufttemperaturen über der Antarktischen Halbinsel tragen zum drittkleinsten Juni-Mittel seit Beginn der Messungen bei.
- Klimadatenreihe in Gefahr: US-Regierung schränkt den Zugang zu Meereis-Satellitendaten ein. US-amerikanische Forschende suchen nach alternativen Datenquellen.
Arktis: Wenig Meereis und dennoch über dem Trend
Der Juni fordert Meereisforschenden in der Regel jede Menge Geduld ab. Geduld deshalb, weil zu dieser Zeit des Jahres oft noch nicht ersichtlich ist, mit welcher Wucht der Sommer in der Arktis Einzug halten wird. Im Juni gibt es in der Regel noch keine starken Stürme, welche die dünner werdende Meereisdecke zusammenschieben oder aber die Eisschollen über große Meeresgebiete verteilen. Diese richtungsweisenden Ereignisse treten zumeist erst im Juli oder August auf und verändern erst dann die Eisdynamik so entscheidend, dass Vorhersagen zum September-Minimum möglich werden. Im Juni hingegen sind die Erwartungen, was Wetterextreme oder ungewöhnliche Entwicklungen betrifft, eher gering.
So gesehen entsprach die Meereisentwicklung in der Arktis im Juni 2025 durchaus den Erwartungen. Die Meereisausdehnung sank im Verlauf des Monats von 11,4 Millionen Quadratkilometer (Stand 1. Juni 2025) auf 9,1 Millionen Quadratkilometer (Stand 30. Juni 2025). Die Kurve des Jahresganges der Meereisausdehnung lag demzufolge zum Monatsende gleichauf mit der Kurve aus dem bisherigen Minimumjahr 2012 (Abbildung 1). Im Gegensatz zu 2012 reiht sich das Monatsmittel mit 10,4 Millionen Quadratkilometern in diesem Jahr jedoch oberhalb der Trendlinie ein - und nicht wie damals darunter (Abbildung 2). In der Gesamtstatistik belegt die Meereisausdehung Platz 6 der niedrigsten Juni-Werte.
Abbildung 1: Der aktuelle Jahresgang der Meereisausdehnung in der Arktis (blaue Linie) im Vergleich. Der türkis-gefärbte Bereich zeigt die Spannbreite der Minimum-Maximum-Werte aus dem Zeitraum 1981-2010. Die blaue Kurve für das Jahr 2025 verlief in der zweiten Junihälfte gleichauf mit der Kurve aus dem Minimumjahr 2012. Die Zahlenwerte geben den tagesaktuellen Wert der Meereisausdehnung für den jeweils 30. Juni an. Die Darstellung ist ein Screenshot aus dem interaktiven Jahresgang-Tool des Meereisportals.
Unterschiede zeigen sich auch beim Vergleich der Eisverteilung. Im Gegensatz zum Juni 2012 gab es im Juni 2025 vor allem in der Beaufortsee mehr Packeis, auch wenn die Eiskonzentrationskarte vom 30. Juni 2025 eisfreie Küstengewässer und erste hellblaue Flecken in der Meereisdecke des großen Beaufortwirbels zeigt (Abbildung 3). Weniger Meereis als im Juni 2012 gab es in diesem Jahr vor allem in Teilen der russischen Schelfmeere, in der Hudsonbucht sowie vor der Südostküste Grönlands (Abbildung 4).
Das Meeresgebiet zwischen Island und Grönland gehört zu jenem Teil der Arktis, in dem Meteorolog:innen im Mai dieses Jahres eine siebentägige Rekord-Hitzewelle dokumentierten. Die Lufttemperatur über Island übertraf in diesem Zeitraum die bis dato geltenden Tageshöchsttemperaturen um bis zu 13 Grad Celsius (Vergleichszeitraum Mai 1991-2020). Am Flughafen Egilsstaðir beispielsweise kletterte das Thermometer am 15. Mai 2025 auf einen Rekordwert von 26,6 Grad Celsius - ein Jahrhundertereignis, wie Expert:innen des World Attribution Centers anschließend in einer Blitzanalyse feststellen.
Im Juni war von dieser extrem warmen Luft nicht mehr viel zu spüren. Die Karte der Temperaturanomalien über der Arktis zeigt im Vergleich zu den ersten fünf Monaten des Jahres wenig Auffälligkeiten (Abbildung 5). Das Meer zwischen Island und Grönland hingegen war an seiner Oberfläche im Monatsmittel bis zu 3,5 Grad Celsius wärmer als im Vergleichszeitraum 1971-2000. Ähnlich hohe Abweichungen der gemittelten Meeresoberflächentemperatur wurden in den küstennahen Gewässern der Barentssee, der Karasee sowie am östlichen und westlichen Rand des Beringmeeres gemessen. Kälter als im Vergleichszeitraum war die Meeresoberfläche in der Framstraße sowie vor der Ost- und Nordküste Kanadas.
Abbildung 4: Differenz der mittleren Eiskantenposition im Juni 2025 im Vergleich zur mittleren Eiskantenposition im Juni 2012. Blau gekennzeichnet sind Meeresgebiete, in denen im Juni 2025 mehr arktisches Meereis existierte als im bisherigen Minumumjahr 2012. Rot markierte Regionen hingegen wiesen weniger Meereis auf.
Während diese Monatszusammenfassung geschrieben wird, läuft im norwegischen Tromsø der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern zu seiner Meereisexpedition CONTRASTS aus. Ein Großteil der Expert:innen des Meereisportals sind mit an Bord. Gemeinsam wollen sie untersuchen, auf welch unterschiedliche Weise die Sommerwärme den verschiedenen Meereistypen zusetzt. Mehr dazu hier und auf der CONTRASTS-Expeditionseite des Meereisportals.
Antarktis: Ungewöhnliche Wärme bremst die Meereisneubildung in der Westantarktis
Überdurchschnittlich warme Luftmassen haben im zurückliegenden Monat die Meereisentwicklung in der Antarktis beeinflusst. Vor allem über der Antarktischen Halbinsel sowie in den angrenzenden Regionen des Weddellmeeres und der Bellingshausensee war es im Monatsmittel bis zu 10 Grad wärmer als in den Junimonaten des Zeitraumes 1971 bis 2000. Die winterliche Neubildung des Meereises hat sich in diesen Regionen entsprechend verzögert (Abbildung 6).
Die Meereisausdehnung wuchs im Juni 2025 von 10,7 Millionen Quadratkilometer (Stand 1. Juni 2025) auf 13,8 Millionen Quadratkilometer (Stand 30. Juni 2025). Die Kurve des Jahresganges lag damit nahezu konstant unterhalb des Bereiches, der die Spannbreite der Minimum-Maximum-Werte aus dem Zeitraum 1981-2010 markiert (Abbildung 7). Das Monatsmittel betrug 12,3 Millionen Quadratkilometer und entspricht dem drittkleinsten jemals gemessenen Juni-Mittel (Abbildung 8).
“Im Vergleich zu den Vorjahren 2023 und 2024 hat sich im Juni 2025 deutlich mehr neues Eis auf dem Südpolarmeer gebildet. Nichtsdestotrotz sehen wir für diese Jahreszeit immer noch zu wenig antarktisches Eis und wir müssen konstatieren, dass der Trend der verringerten Neueisbildung in der Südpolarregion anhält”, resümiert Dr. Klaus Grosfeld, Experte des Meereisportals.
Deutlich weniger Meereis als im Langzeitmittel gab es vor allen Dingen in der Bellingshausensee, im westlichen Weddellmeer, vor der Küste des Königin-Maud-Landes sowie im Rossmeer. Etwas mehr Eis hingegen detektierten die Satelliten vor der Küste des Wilkeslandes, in der Ostantarktis sowie weit vor der Küste des Marie-Byrd-Landes (Abbildung 9).
Abbildung 9: Differenz der mittleren Eiskantenposition im Juni 2025 im Vergleich zur mittleren Eiskantenposition im Langzeitmittel der Jahre 2003 bis 2014. Blau gekennzeichnet sind Meeresgebiete, in denen im Juni 2025 mehr antarktisches Meereis existierte. Rot markierte Regionen hingegen wiesen weniger Meereis auf.
Langzeitdatenreihe in Gefahr: US-Regierung schränkt den Zugang zu Meereis-Satellitendaten ein
Die Hiobsbotschaft kam im Mai: Das US-amerikanische Verteidigungsministerium, so hieß es in Gesprächen, könne Forschenden aufgrund von Personalkürzungen nicht mehr den vollen Zugang zu Satellitendaten gewähren, auf denen die bislang wichtigste und umfassendste Langzeitdatenreihe zur globalen Meereisentwicklung aufbaut. Ende September 2025 würde das Militär einem Bericht des Science Magazine zufolge die technische Unterstützung für die SSMIS-Meereis-Sensoren gänzlich einstellen.
“US-amerikanische Wettersatelliten liefern seit dem Jahr 1979 regelmäßig Meereisdaten. Diese lange Zeitserie nutzt zum Beispiel die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als Referenz für einen ihrer sieben Schlüsselindikatoren des globalen Klimawandels – gemeint ist der Rückgang des arktischen und antarktischen Meereises”, erläutert Dr. Gunnar Spreen, Fernerkundungsexperte des Meereisportals von der Universität Bremen. “Die amerikanische Meereis-Zeitserie ist damit ebenso bedeutend für unser Wissen über das Fortschreiten des Klimawandels wie die Messungen der CO2-Konzentration am Mauna-Loa-Observatorium auf Hawaii”, ergänzt der Wissenschaftler.
Abbildung 10: Dr. Gunnar Spreen, Fernerkundungsexperte des Meereisportals und Wissenschaftler an der Universität Bremen, hat als Experte die Entwicklung von Algorithmen für den japanischen AMSR3-Sensor unterstützt. Aktuell arbeitet Gunnar Spreen jedoch an Bord des Forschungseisbrechers Polarstern, als Teilnehmer der CONTRASTS-Expedition . Dieses Foto zeigt ihn kurz bevor das Schiff im norwegischen Tromsø abgelegt hat.
Ausgewertet werden die US-amerikanischen Satellitendaten bisher unter anderem von Meereis-Expert:innen am Nationalen Datenzentrum für Schnee und Eis (NSIDC) in Boulder, Colorado. Ein Ende der technischen Unterstützung durch die US-Regierung würde bedeuten, dass die amerikanischen Wissenschaftler:innen ihre Arbeit an dieser Datenreihe unterbrechen und mit anderen Satellitendaten weiterarbeiten müssten.
Technisch wäre dies durchaus möglich: Neben den US-amerikanischen Satelliten mit SSMI-Sensoren liefern auch chinesische und japanische Satelliten Meereisdaten aus der Arktis und Antarktis. Für die internationale Klimaforschung aber wäre ein Ende der NSIDC-Datenreihe ein herber Rückschlag:
Für die Klimabeobachtung brauchen wir kontinuierliche Messungen und Datenreihen und genau diese Kontinuität haben uns die US-amerikanischen Wettersatelliten bislang geboten, weil sie seit dem Jahr 1979 mit sehr ähnlichen SSMIS-Sensoren arbeiten.
Für das Meereisportal würde sich durch den Stopp der Datenflüsse erst einmal nichts ändern. “Unsere aktuellen Meereisdaten beruhen auf den Messungen eines japanischen Satelliten. Dessen AMSR2-Sensor liefert Meereisdaten in höherer Auflösung als die amerikanischen SSMI-Sensoren. Die AMSR-Datenreihe reicht allerdings nur bis in das Jahr 2002 zurück und umfasst damit nicht die mindestens 30 Jahre, die für eine Klima-Zeitserie nötig sind. Daher ergänzen wir sie davor auch mit den amerikanischen Daten der SSMIS-Serie”, so Gunnar Spreen.
Die Fachleute des NSIDC suchen jetzt ebenfalls nach alternativen Datenquellen: “Wir sind in einem engen Austausch mit unseren amerikanischen Kolleg:innen darüber, wie sie die japanischen Messdaten integrieren und ihre Datenauswertung entsprechend anpassen können”, sagt Gunnar Spreen einen Tag bevor die Trump-Adminsitration dem NSIDC einen Monat Aufschub gewährt.
“Das Verteidigungsministerium hat die Verarbeitung und Lieferung von Daten des Special Sensor Microwave Imager/Sounder (SSMIS) bis zum 31. Juli 2025 verlängert”, heißt es in einer E-Mail des NSIDC-Datenzentrums vom 30. Juni. Wie es mit der Klimadatenreihe danach weitergeht, bleibt allerdings nach wie vor offen.
Japan bringt neuen Satelliten ins Weltall
Angesichts dieser Ungewissheit sorgte eine Nachricht der japanischen Weltraumbehörde JAXA für Erleichterung in der internationalen Meereis-Community. Am Sonntag, den 29. Juni 2025, brachte eine Trägerrakete den Umwelt-Satelliten “IBUKI GW" sicher ins Weltall. Er ist nicht nur mit Messinstrumenten für Treibhausgase und den Wasserkreislauf ausgestattet. An Bord befindet sich auch AMSR3, der Nachfolger des in die Jahre gekommenen Mikrowellensensor AMSR2 – das “Arbeitstier” für Meereisdaten.
Die Europäische Raumfahrtagentur wird in Kürze nachziehen. Aktuell wird unter anderem ein neuer Sentinel-Satellit “CIMR” entwickelt, dessen Sensoren die Meereisbeobachtung auf ein neues Niveau heben sollen. Dessen Start ist allerdings erst für das Jahr 2029 geplant.
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Autorin
Sina Löschke (Science Writer)
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