- Das Meereis in der Antarktis bedeckte im diesjährigen Südwinter eine maximale Meeresfläche von 17,34 Millionen Quadratkilometer. Das waren nur 180.000 Quadratkilometer mehr als im Negativ-Rekordjahr 2023.
- Es gibt große regionale Unterschiede in der Meereisentwicklung. Die Ursachen herauszufinden, gestaltet sich schwierig, da Vor-Ort-Messdaten aus den jeweiligen Regionen fehlen.
- Forschende der AWI-Meereisphysik werden Anfang des Jahres 2025 eine Vielzahl an Messgeräten im Weddellmeer aussetzen, um die lokalen Entwicklungen im nächsten Südwinter genauer zu untersuchen.
Satelliten erfassten am 11. September 2024 eine maximale Winter-Meereisfläche von 17,34 Millionen Quadratkilometern. Das waren 1,17 Millionen Quadratkilometer Meereis weniger als im langfristigen Mittel der Jahre 1981 bis 2010, eine Fläche mehr als dreimal so groß wie Deutschland.
Im Vergleich zum Negativ-Rekordwinter 2023 aber bedeckte das Meereis zum Ende dieses Südwinters eine um 180.000 Quadratkilometer größere Meeresfläche. Das diesjährige Meereismaximum reiht sich demzufolge nur knapp hinter dem Rekordwert aus dem Vorjahr als zweitkleinste antarktische Winter-Meereisfläche seit Beginn der kontinuierlichen Satellitenmessungen im Jahr 1979 in die Statistik ein. Gleiches gilt für die mittlere monatliche Eisausdehnung: Sie lag im September dieses Jahres bei einer Fläche von 17,22 Millionen Quadratkilometern (Abbildung 1).
„Viele Fachleute hatten gehofft, dass die extrem kleine Wintermeereisfläche im September des vergangenen Jahres eine große Ausnahme war. Tatsächlich aber bestätigen die Daten der aktuellen Meereis-Ausdehnung, dass der vermeintliche Ausnahmefall nun zum wiederholten Male eingetreten ist. Damit wächst die Sorge, dass es im Klimasystem der Antarktis zu grundlegenden Verschiebungen gekommen ist“, sagt Dr. Renate Treffeisen, Mitbegründerin und Redakteurin des Meereisportals.
Verzögerte Meereisbildung: Große regionale Unterschiede
Das Meereis in den Polarregionen folgt einem ausgeprägten saisonalen Zyklus. In jedem Jahr wachsen und schmelzen in der Antarktis etwa 15 Millionen Quadratkilometer Meereis. In den Wintermonaten 2024 verzögerte sich das Eiswachstum vor allem in Gewässern vor der Küste des Königin-Maud-Landes, vor der Küste der Ostantarktis, im östlichen Rossmeer sowie im westlichen Weddellmeer. In allen vier Regionen gab es im September 2024 deutlich weniger Meereis als im langfristigen Mittel. Mehr Packeis als im langfristigen Mittel dokumentierten die Satelliten in Gewässern im westlichen Rossmeer, vor der Küste des Adélielandes sowie in der Bellingshausensee (Abbildung 2).
Vergleicht man die diesjährige September-Meereisfläche mit der Fläche aus dem Vorjahr, fallen Eisverluste im westlichen Weddellmeer, in der Amundsensee sowie vor der Küste des Königin-Maud-Landes auf. Eiszuwächse sind dagegen vor allem im östlichen Weddellmeer und im Rossmeer zu verzeichnen (Abbildung 3).
„Beide Differenzkarten unterstreichen, dass wir im Südlichen Ozean große regionale Unterschiede in der Meereisentwicklung haben. Im westlichen Weddellmeer zum Beispiel sehen wir sowohl im Vergleich zum langfristigen Mittel als auch im Vergleich zum Vorjahr Meereisverluste. Zuwächse gibt es hingegen in Teilen des Rossmeeres“, sagt Prof. Dr. Stefanie Arndt, Meereisphysikerin am Alfred-Wegener-Institut und Expertin für die physikalischen Eigenschaften des antarktischen Meereises.
Ihrer Meinung nach könnten vor allem die diesjährigen Entwicklungen im Weddellmeer erneut auf großräumige Prozesse in der Atmosphäre zurückzuführen sein. Vor wenigen Monaten erst hatte AWI-Klimatologin Dr. Monica Ionita in einer Studie gezeigt, dass im Südwinter 2023 warme, feuchte Luft aus dem Norden im Weddell- und Rossmeer bis dicht an die Meereiskante geströmt war. Dort hatte sie gemeinsam mit dem ungewöhnlich warmen Oberflächenwasser des Südlichen Ozeans die Neubildung des Meereises verzögert.
Eine wichtige Rolle spielte außerdem der Wind. „Im Südwinter 2023 konnten wir mithilfe unserer Meereis-Messstationen in der Nähe der Forschungsstation Neumayer III vergleichsweise viele Stürme beobachten. Diese wurden im Anschluss als eine mögliche Ursache für den sprunghaften Meereisrückgang diskutiert, denn starke Winde treiben die Eisschollen vor sich her oder schieben das Packeis dicht zusammen. Im Südwinter dieses Jahres gab es allerdings zumindest an Neumayer III nicht so viele Stürme wie im Jahr zuvor“, sagt Stefanie Arndt.
Eine Armada autonomer Messgeräte bald im Einsatz
Für genauere Analysen benötigt die Meereisphysikerin Temperatur-, Wasser-, Strahlungs- und Meereisdaten direkt aus dem Winter-Packeis des Weddellmeeres. Diese fehlen jedoch noch. Mit Vorfreude blickt sie deshalb auf die bevorstehende Antarktis-Expedition des Forschungseisbrechers Polarstern. „Die an Weihnachten beginnende Fahrt in das Weddellmeer ist aus drei Gründen wissenschaftlich spannend: Erstens werden Forschende aus der AWI-Ozeanographie eine Vielzahl sogenannter Verankerungsketten bergen, deren Messgeräte seit zwei bis drei Jahren die Bedingungen in der Wassersäule dokumentieren. Die Daten erlauben Rückschlüsse darauf, welche Ozeaneigenschaften das winterliche Wachstum des Meereises im nordwestlichen Teil des Weddellmeeres verzögert haben könnten beziehungsweise was im Südwinter 2024 möglicherweise den Ausschlag für mehr Meereis im östlichen Weddellmeer gab“, sagt Stefanie Arndt.
Zweitens werden sie und ihr Team das verbliebene Sommer-Packeis des südöstlichen Weddellmeeres beproben und dessen Schnee- und Eisdicke sowie die Struktur des Meereises analysieren. Der Anteil des in Eis umgewandelten Schnees an der Packeisoberseite verrät den Forschenden zum Beispiel, welche Lufttemperaturen im Südwinter über dem Eis geherrscht haben. Anhand der großräumig zu messenden Oberflächengestalt und -rauheit des Packeises hingegen erkennen sie, wie stark das Meereis von Stürmen zusammengeschoben wurde.
Die wichtigste Aufgabe des Teams Meereisphysik aber wird sein, eine große Armada autonomer Messsysteme im östlichen Weddellmeer auszusetzen, darunter zum Beispiel Schnee- und Eisdickenbojen, Wetter- und Strahlungsstationen sowie ozeanographische Instrumente für das Oberflächenwasser. „Alle Messgeräte sollen ein Jahr lang mit dem Packeis durch das Weddellmeer treiben. Mit Blick auf den kommenden Südwinter 2025 werden wir dann hoffentlich genügend autonome Beobachtungssysteme im Einsatz haben, um zu verstehen, was vor Ort passiert und warum sich das Meereis im Weddellmeer wie entwickelt“, sagt Stefanie Arndt.
Arktisches Meereis: Der Abwärtstrend setzt sich fort
Das Meereis des Arktischen Ozeans begann nach seinem sommerlichen Minimum am 7. September (4,39 Millionen Quadratkilometer) wieder zu wachsen und erreichte einen Monatsmittelwert von 4,52 Millionen Quadratkilometern. Das ist die sechskleinste September-Meereisfläche seit Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1979. Mit ihr setzt sich der Abwärtstrend in der Entwicklung der arktischen Meereis-Ausdehnung fort (Abbildung 4).
Auffallend wenig Meereis gab es im September insbesondere in der Karasee, in der Laptewsee sowie in der östlichen Beaufortsee. Der Seeweg durch die Inselwelt des kanadisch-arktischen Archipels, die sogenannte Nordwestpassage, zeigte auf den Eiskonzentrationskarten Eisfreiheit. Die Nordostpassage entlang der sibirischen Arktisküste war bis auf eine Ausnahme ebenfalls eisfrei und somit für Schiffe befahrbar (Abbildung 5 und 6). Experten des norwegischen Centers für Logistik im hohen Norden dokumentierten in diesem Sommer insgesamt 79 Schiffsdurchquerungen der Nordostpassage.
An der Wrangelinsel dürften die Besatzungen nach Osten fahrender Schiffe gestaunt haben. Zwischen der Wrangelinsel und der östlichsten Küste Sibiriens hatte sich ein großes Eisfeld festgesetzt. Nach Angaben des US-amerikanischen Portals NSIDC besteht das Feld aus einjährigem Meereis, welches im Frühsommer durch starke Eisbewegungen zusammengeschoben worden war und im Juni das erste Mal in Erscheinung trat. Die Sommerschmelze hat die kompakte Eisfläche aufgrund ihrer Eisdicke überstanden. Das ist auch der Grund warum sie auf unserer Differenzkarte für den Monat September nun als kleine blaue Markierung deutlich ins Auge fällt (Abbildung 5).
Eine ausführliche Analyse der sommerlichen Meereisentwicklung im Arktische Ozean lesen Sie in unserer News zum arktischen Meereisminimum 2024.
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Prof. Dr. Stefanie Arndt (AWI)
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