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Altes Eis im hohen Norden

Messungen unter dem Eis Ozean Arktis

Dort, wo Meereisschollen sich noch zu mächtigen Eismassen auftürmen. Wir sind hier her gekommen, weil es hier etwas gibt, das in der Arktis selten geworden ist - altes Meereis.

So wird man als Wissenschaftler selten empfangen: Die gesamte uniformierte Stationsbesatzung empfängt uns mit einem herzlich klatschenden Spalier als wir aus der arktischen Kälte von -25°C das erste Mal unseren Fuß in den warmen Eingangsbereich der kanadischen Station CFS Alert setzen. Es war eine weite Reise. Seit unserer Abreise in Bremen sind sechs Tage vergangen. Zwischen Deutschland und unserem Arbeitsgebiet auf Ellesmere Island liegen circa 25 Flugstunden, sechs Flughäfen und zwei Tage Zwangspause in Resolute Bay wegen eines technischen Defekts an unserer gecharterten DC 3. Doch der freundliche Empfang auf diesem Außenposten der Zivilisation, der nördlichsten Station unseres Planeten lässt uns die lange Anreise vergessen. 

Wir sind hier her gekommen, weil es hier etwas gibt, das in der Arktis selten geworden ist - altes Meereis. Direkt an der Küste türmen sich meterhoch dicke Schollen, die bereits mehrere Jahre alt sind und während ihrer Lebenszeit einiges mitgemacht haben. Das Meereis hier ist anders, als wir es gewohnt sind von unseren Schiffsreisen in die zentrale Arktis. Es gibt regelrechte kleine Gebirge von über zehn Metern Höhe, die in den vergangenen Sommern durch die Schmelze zu eindrucksvollen rundlichen Hügellandschaften geworden sind. Die großen Strömungsmuster im Arktischen Ozean drücken hier besonders viel altes Eis gegen die nordkanadische Insellandschaft. Es entsteht ein Schollenchaos, in dem kein Eisbrecher dieser Welt eine Chance hat. Genau dieses Eis wollen wir untersuchen, bevor es auch hier eines Tages verschwindet. Im Winter ist es hier so kalt, dass das Packeis sicher zusammenfriert und wir ohne Probleme von der Küste aufs Eis hinaus können.

Doch das alte Eis bringt auch seine Schwierigkeiten mit sich. Unsere kanadischen Kooperationspartner haben bereits vor unserer Ankunft eine Route aufs Eis hinaus erkundet. Der optimale Platz für unsere Forschung liegt zwar nur sechs Kilometer von der Küste entfernt, aber um dorthin zu gelangen müssen wir jeden Morgen zunächst 45 Minuten mit dem Motorschlitten durch buckeliges Gelände (siehe Foto 5).  Die ersten Tage unserer Expedition verbringen wir also hauptsächlich damit, etwa anderthalb Tonnen Expeditionsausrüstung mit dem Motorschlitten aufs Eis hinaus zu ziehen. Mit einem Heißwasserbohrsystem wird für uns ein anderthalb mal anderthalb Meter großes Loch ins Eis geschmolzen und darüber ein großes beheizbares Zelt aufgestellt um die empfindliche Elektronik für unseren Tauchroboter (ROV) warm zu halten (siehe Foto 6).

Unser Tauchroboter, ein „Remotely Operated Vehicle“ kurz ROV genannt, ist unser Hauptinstrument auf dieser Expedition. Vom Eisloch aus erkunden wir sowohl die Welt unter den dicken mehrjährigen Eisschollen, sowie unter einem Bereich aus einjährigem Eis, das sich erst in diesem Winter gebildet hat. Selbst dieses Eis ist mit anderthalb Metern und zwanzig Zentimetern Schneeauflage für sein junges Alter bereits ziemlich dick. Die mehrjährigen Schollen nebenan erreichen jedoch an vielen Stellen Dicken zwischen drei und sechs Metern. Einige der für die Umgebung eher kleinen Presseisrücken direkt neben unseren Zelten sind über fünfzehn Meter dick (siehe Foto 7). Mit dem ROV untersuchen wir, wieviel Licht bei verschiedenen Eisbedingungen durch das Eis hindurchkommt. Ein wichtiger Faktor für die Lichtverteilung unter dem Eis ist die Schneedecke darüber. Um diesen Zusammenhang besser zu verstehen, vermessen wir auch die Schneeoberfläche regelmäßig millimetergenau mit einem Laserscanner. Der erste Eindruck täuscht nicht: hier ist es sehr dunkel unter dem Eis.  Weniger als ein Prozent des an der Oberfläche vorhandenen Sonnenlichtes schafft es, zur Eisunterseite hindurch zu dringen. Laut einigen Lehrbüchern ist das viel zu wenig Licht für Algenwachstum, doch unsere kanadischen Kollegen messen durchaus einen signifikanten Algenbewuchs an der Eisunterseite, der als brauner Schimmer sogar mit bloßem Auge in den Eiskernproben erkannt werden kann.  An unserem ROV schleppen wir zusätzlich wieder einmal ein fünf Meter langes Zooplankton-Netz. Auch darin finden wir reichlich Leben. Viele kleine Eisamphipoden, Ruderfußkrebse, Quallen und sogar Fischlarven gehen uns ins Netz. Interessant ist dabei vor allem, dass manche Arten nur unter dem mehrjährigen Eis zu finden sind. Doch auch noch weiter unter dem Eis, in 220 Metern Tiefe am Meeresgrund ist unglaublich viel Leben zu finden (siehe Foto 8). 

Schwämme, Kaltwasserkorallen, Fische, Muscheln und zwei Tintenfische begegnen uns. Eigentlich ist unser ROV ja nur für Einsätze direkt unter dem Meereis optimiert, aber mit kleinen Modifikationen können wir auch diesen Ausflug ermöglichen. Immerhin sind wir vermutlich die ersten Menschen, die diese Welt hier am Meeresboden vor der ganzjährig vom Eis eingeschlossenen Nordküste von Ellesmere Island beobachten können. Wenn der Tauchroboter nicht gerade aktiv ist, arbeiten wir regelmäßig daran, den Schnee auf dem Meereis genau zu charakterisieren. Mit Messungen von Temperatur, Dichte, Härte, Kristallform und Wassergehalt erhalten wir ein genaues Bild der Schneedecke. Besonders auffällig in diesem Jahr sind bis zu ein Zentimeter wunderschöne große Tiefenharsch Kristalle. Radarmessungen ermöglichen es, unsere Daten in Kombination mit Ergebnissen eines Forschungsflugs der amerikanischen Weltraumbehörde NASA (Operation Ice Bridge) auszuwerten und die Erkenntnisse in die Entwicklung von Algorithmen zur großskaligen Messung der Schneedicke auf Basis von Flugzeug- oder Satellitendaten einzubringen.  All diese Messungen führen wir über einen Zeitraum von fast vier Wochen in regelmäßigen Abständen durch. Zusätzlich befinden sich noch mehrere autonome Messbojen in unserer Zeltstadt, die Daten über Lichtdurchlässigkeit, Temperatur und Schneeauflage des mehrjährigen Eises noch über unsere Abreise hinaus via Satellit nach Hause funken werden (siehe Foto 9). Bisher ist das Wetter recht gnädig und wir konnten jeden Tag auf das Eis hinaus fahren. Dank der großartigen Unterstützung des Stationspersonals und der polarerfahrenen Logistikcrew haben wir beste Arbeitsbedingungen und werden sogar auf dem Eis mit warmem Mittagessen versorgt. Selbst Salat wird uns von der eifrigen Küchenmannschaft zum Mittagessen aufs Eis geschickt. Das ist zwar ein überdurchschnittlicher Luxus, aber die meisten hungrigen Polarforscher greifen dann doch lieber zum Schokokeks, um die von der Arbeit in der Kälte geleerten Energiespeicher wieder aufzufüllen. Und während der Stationskommandant in seiner Begrüßungsrede diesen Ort als äußerst lebensfeindlich bezeichnete, müssen wir wieder einmal feststellen, dass der Mensch anscheinend die einzige Spezies ist, die hier nur dank eines enormen Einsatzes von Technologie sicher überleben kann. Das Leben unter dem Eis, ja selbst die Schneehasen und Wölfe, an denen wir gelegentlich auf unserem täglichen Weg zur Arbeit vorbeifahren, machen jedenfalls keinen leidenden Eindruck.

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Gestapeltes, mehrjähriges Eis bei Alert, Kanada.