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30 Jahre Forschungsflüge in der Arktis: Messdaten zeigen die klimawandelbedingte Abnahme der Meereisdicke

Luftgestützte Messungen Ozean Meereisdicke Klimawandel Wissenschaft Arktis

30 Jahre lang haben AWI-Forschungsflugzeuge die Dicke des arktischen Meereises gemessen und dabei einen deutlichen Rückgang infolge des Klimawandels festgestellt, was wichtige Daten für Wissenschaft und Politik liefert.

Forschungsflugzeuge vom Alfred-Wegener-Institut sind seit mehr als 30 Jahren verwendet worden, um den eisbedeckten arktischen Ozean zu untersuchen. Die immensen Anstrengungen der letzten 52 Expeditionen haben sich gelohnt: 40.000 km Messstrecke belegen den erheblichen Verlust an Meereisdicke infolge des Klimawandels. Diese ist weltweit die einzige flugzeug- und hubschrauberbasierte Messreihe, die über so einen langen Zeitraum in der Arktis durchgeführt wurde.

Die ersten Forschungsflüge über dem Meereis fanden im März 1993 von Spitzbergen aus statt. Damals verfügte das Institut über zwei Dornier DO228 Flugzeuge, Polar 2 und Polar 4. Letzteres befindet sich inzwischen im Dornier Museum in Friedrichshafen. Dr. Jörg Hartmann, Teilnehmer und Leiter von zahlreichen Expeditionen, erinnert sich: „Messungen mit den Polarfliegern, aber auch die Auswertung der Daten waren damals wegen der begrenzten Rechner- und Speicherkapazitäten sehr aufwendig. Zwar ließ sich zu der Zeit die Dicke des Meereises noch nicht direkt bestimmen, wohl aber konnten wir mit Hilfe von Laserdistanzmessungen ein Geländemodell der Eisoberfläche erstellen.“

Heute, 30 Jahre später, verlässt sich das Forschungsinstitut auf zwei Basler BT-67-Flugzeuge: Polar 5 und Polar 6. Sie sind für Flüge unter den extremen Umweltbedingungen der Polarregionen ausgestattet. Die 80-Jahre-alten Polarflugzeuge können flexibler als ihre Vorgänger eingesetzt und mit wesentlich mehr Sensoren bestückt werden. Eine speziell für die Messung der Meereisdicke entwickelte Schleppsonde (der „Bird“) befindet sich bei Start und Landung direkt unter dem Rumpf des Flugzeugs. Im Zielgebiet angekommen wird der Sensor mit einer Winde herabgelassen und in einer Höhe von etwa 15 Metern über dem Eis geflogen – eine Messmethode, die weltweit einmalig ist. Mit der Zeit haben sich die Lasersysteme an Bord von Geräten mit nur einem Laserstrahl zu Laserscannern entwickelt. Letztere werden seit den 1990er Jahren verwendet, um die Eisoberfläche zu erfassen. Ein Ultrabreitband-Mikrowellenradarsystem ergänzt diese Messungen mit Informationen über die Schneedicke, während ein Kamerasystem vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die radiometrische Signatur des Eises erfasst.

Die diesjährige Polar 6-Messkampagne, namens IceBird, führte das Team um Meereisphysiker Dr. Thomas Krumpen vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) von Inuvik, Resolute Bay und Eureka in Kanada zur „Station Nord“ in Grönland. Am 26. April kehrte das Forschungsflugzeug aus der Arktis zurück, wo es während der letzten vier Wochen an verschiedenen Stellen Veränderungen im Meereis dokumentiert hatte. Expeditionsleiter Krumpen erläutert die Messungen: „Dies ist das 52. Mal, dass wir Messflüge über Meereis durchgeführt haben. All diese Messdaten aus den vergangenen 30 Jahren aneinandergereiht, reichen einmal rund um den Erdball. Wir sprechen also von etwa 40.000 Kilometern an Eisdaten. Ein großer Teil davon wurde im Tiefflug in etwa 60 Metern Höhe erhoben. Das ist für die Piloten sehr anstrengend und erfordert ein gutes Team und eine gute Planung, zumal das Wetter ständig wechselt und schwer vorhersagbar ist.“

Aber die immensen Anstrengungen, die mit solchen Flugkampagnen in der Arktis einhergehen, haben sich gelohnt: In manchen Regionen beobachten die Forscher:innen eine deutliche Abnahme der Meereisdicke infolge des Klimawandels: „Basierend auf den 52 Flugkampagnen seit 1993 können wir Messreihen für verschiedene Regionen erstellen, die zeigen, wie die Meereisdicke und Oberflächenrauigkeit von Jahr zu Jahr variieren, und ob sich Trends beobachten lassen. Zum Beispiel hat die Dicke des Eises, welches im Sommer die Arktis durch die Framstraße verlässt, in den letzten zwei Jahrzenten um 20-25 % abgenommen.“ Den Forscher:innen zufolge erklärt sich diese Entwicklung zum Teil durch die schnellere Drift und kürzere Verweilzeit des Eises in der Arktis, aber auch durch verstärkte Schmelzprozesse im Sommer. Das Meereisportal hat bereits 2019 dazu berichtet: „Der beobachtete Verlust an Eisdicke wirkt auf den Wärmeaustauch zwischen Ozean und Atmosphäre, beschleunigt den Meereisrückgang in den Sommermonaten weiter und hat Auswirkungen auf das gesamte arktische Ökosystem,“ sagt Krumpen. Die Wissenschaftler:innen sehen ähnlich dramatische Veränderungen in Regionen nördlich von Kanada, wo normalerweise älteres und dickeres Eis zu finden ist. Laut Prof. Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am AWI: „Die Messungen des AWI in der Arktis sind die einzigen flugzeug- und helikoptergestützten Beobachtungen, die über einen so langen Zeitraum durchgeführt wurden und konsistent die Abnahme der Eisdicke und Deformation in der Arktis zeigen. Damit sind sie immer wieder eine wichtige Grundlage für gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Entscheidungen. Darüber hinaus tragen die Daten zur Kalibrierung von Satellitenmessungen bei, die zwar ganzjährig und arktisweit Informationen liefern, aber mit geringerer Genauigkeit.“  

„Es ist bemerkenswert, dass man in der flugzeugbasierten Meereis-Messreihe des AWI, die bis 1993 zurückreicht, als ich nur ein Jahr alt war, bereits solche dramatischen Veränderungen im Meereis sehen kann,“ sagt Dr. Arttu Jutila, Geophysiker und Teilnehmer an der IceBird-Kampagne im Winter 2023. Jutila arbeitet vorwiegend mit der neuesten Ergänzung der flugzeugbasierten wissenschaftlichen Ausrüstung: dem Schneeradar. Wird das Schneeradar zusammen mit der EM-Bird-Sonde und dem Laserscanner verwendet, so können die IceBird-Flüge gleichzeitig die Meereisdicke, Schneetiefe und das Freibord messen. Eine Analyse der verschiedenen Daten ermöglicht die Bestimmung von Parametern wie der Meereisdichte, die, neben der Schneedicke und dem Freibord eine der größten Unsicherheitsquellen in der Ableitung der Meereisdicke aus Satellitenmessungen darstellt.

In manchen Fällen kann man die Auswirkungen der Eisschmelze direkt sehen: „In den 1990er Jahren war der Adventfjord in Spitzbergen fest zugefroren. Wenn das Forschungsschiff Polarstern in Longyearbyen vor Anker lag, konnten wir zu Fuß das Schiff erreichen. Heute bleibt der Fjord eisfrei und ganzjährig schiffbar,“ sagt Hartmann.

In kommenden Jahren werden die IceBird Flugkampagnen im Spätwinter und im Sommer weiterhin durchgeführt.

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